Ein Geschenk von Tiffany
jetzt Schluss, Anouk geht’s im Moment nicht so gut.« Sie zog ihre Nase kraus. »Sie ist furchtbar angespannt. Ich glaube, Pierre und sie haben ziemliche Probleme.«
»Ach, nee.« Suzy legte ihren Kopf schief.
»Mhm. Sie will natürlich nicht drüber reden, aber das geht schon seit Wochen so. Ich geh jetzt besser und schenk ihr ein Glas Wein ein.«
»Gut, dann gib ihr einen Kuss von mir.«
»Mach ich. Und ich geb euch beiden einen Kuss.« Sie deutete auf Cupcake.
Der Bildschirm wurde schwarz, und Cassie wandte sich mit einem Seufzer von ihrer glücklichen Freundin ab und ihrer unglücklichen zu.
Cassie klopfte noch mal. Mittlerweile stand sie seit einer Viertelstunde im Nieselregen und versuchte, ihn dazu zu bewegen, ihr aufzumachen. Sie drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. Mit einer Stimme, die grimmiger klang, als sie sich fühlte, sagte sie: »Ich weiß, dass du da drin bist, Claude. Du bist immer da drin. Bitte, jetzt lass mich doch rein. Ich muss mit dir reden.« Sie hielt inne. »Ich mach mir Sorgen um dich.«
Nichts. Stille kann ganz schön laut sein, wenn man sie nicht hören will.
Nervös drehte sie sich einmal um die eigene Achse. Was sollte sie nun tun? Vor seiner Tür campen? In den Hungerstreik treten?
»Cassie.«
Sie riss den Kopf hoch. Claude stand im Eingang zur Gasse. Er hatte eine riesige Papiertüte voller Lebensmittel auf den Armen.
»Claude, da bist du!« Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Zutiefst erleichtert rannte sie zu ihm hin. »Ich hab versucht, dich … ich hab gedacht, du …« Er schob die Kapuze seines Parkas zurück, und Cassie starrte ihn fassungslos an. Er hatte sich den Bart abrasiert und die Haare schneiden lassen. Er trug marineblaue Chinos anstelle seiner dreckigen Jeans, dazu ein weißes Hemd und einen grauen Pulli. Ja, er hatte sogar einen Schal um den Hals geschlungen, auf diese lässige Art, wie es nur Franzosen können. Er sah … wirklich gut aus. Eine verblüffende Erkenntnis.
»Mein Gott, schau dich an!«, stieß sie erstaunt hervor. »Du solltest öfter jemanden zusammenschlagen.«
Er lachte sein seltenes, knittriges Lachen und ging an ihr vorbei. Ihr fiel auf, dass selbst sein Gang ein anderer war. Er schlurfte nicht mehr, er hatte jetzt einen wippenden, ausholenden Schritt. Er holte seine Schlüssel raus und schloss die Haustür auf.
»Kaffee?«, fragte er.
Cassie konnte bloß nicken.
Sie folgte ihm durch die Wohnung. Staunend sah sie sich um. Die Küche war immer blitzsauber, bereit fürs Kochen. Der Rest der Wohnung dagegen … hm. Die Jalousien waren permanent runtergelassen, nie wurde ein Fenster geöffnet, ein Feuer im Kamin oder das Bett gemacht. Schmutzige Kleidungsstücke lagen herum und verbreiteten einen miefigen Geruch, als würde man in einem Schuh hausen, aber heute …
»Und ich hab mir tatsächlich Sorgen um dich gemacht«, murmelte sie und ging staunend von einem Raum zum anderen, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Claude packte derweil seine Tüte aus. Die Schlägerei in der Galerie hatte offenbar nicht nur das Ende ihrer Beziehung zu Luke signalisiert.
Sie sah, dass das Bett gemacht, die graue Tagesdecke darauf sauber und gebügelt war. Und da stand sogar eine Vase mit Freesien auf dem Nachttischchen. Ob er eine Freundin hatte?
Allein schon der Gedanke daran gab ihr vor Eifersucht einen Stich. Sie war das Einzelkind, das sich in der ungeteilten Aufmerksamkeit des Vaters/Lehrers gesonnt hatte. War »gesonnt« das richtige Wort? Es war manchmal eher so gewesen, als würde man vor einem Erschießungskommando stehen, aber das nahm sie gerne in Kauf, wenn sie nur weiter diese große Leidenschaft mit ihm teilen durfte. Richtig oder falsch, selbstsüchtig oder nicht, sie wollte ihn einfach für sich haben.
Vielleicht weil auch ich ihm alles gebe?, überlegte sie, während sie in die Küche zurückschlenderte und ihm mit untypischer Stille zusah. Sie hatte keinen Job, an dem ihr Herz hing, keinen Mann, der sie von dieser neuen, tiefen Liebe abgelenkt hätte. Sie hatte ihren Weg gefunden, hier in Paris, und der Gedanke, ihn zu verwässern, indem sie Claude mit anderen teilte, war beängstigend. Suzy hatte gesagt, sie solle nach London kommen, wenn Claude sie abweisen sollte. Aber wenn er sie umgekehrt bat zu bleiben, würde sie? Könnte er erreichen, woran Luke gescheitert war? Könnte sie alldem hier wirklich den Rücken kehren und nach London ziehen – um sich wieder ganz neu zu erfinden?
Er stellte ihr mit einem Lächeln einen
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