Ein Geschenk von Tiffany
Turnschuhe von den Füßen, ohne sich die Mühe zu machen, die Schnürsenkel aufzumachen. Dann ließ sie sich mit ausgebreiteten Armen auf die Matratze zurückfallen. Ein Bad war gar keine so schlechte Idee. Sie war immer noch hundemüde. Henry hatte sie schon wenige Minuten später wieder wachgerüttelt und gesagt, wenn sie schon einhundert Pfund für das Privileg bezahlten, die Fotoalben von zahlreichen Touristen zu verschönern, dann könne sie dazu wenigstens bei Bewusstsein bleiben.
»Ja, ich glaube, ich werde jetzt wirklich erst mal ein Bad nehmen«, sagte sie.
»Ja, mach ruhig«, sagte Henry. Er wandte sich ab und ging zu dem kleinen Sekretär. Darauf lagen einige Prospekte und ein Stadtplan. Er nahm alles und langte dann in die Tüte, die er beim Reingehen auf den Boden gestellt hatte. »Wie wär’s mit einem Glas davon?« Er hielt eine Flasche Fragolini Bianco hoch.
Sie tranken eigentlich schon den ganzen Tag, aber was spielte das schon für eine Rolle! »Au ja!«, sagte Cassie. Sie verschwand im Bad und drehte die Wasserhähne auf. Dann holte sie eine kleine Probeflasche von Anouks Lieblingsbadeöl von Nina Ricci aus ihrem Toilettenbeutel und schüttete den ganzen Inhalt in die Badewanne. Sofort verbreitete sich ein betörender Duft.
Es klopfte, und Henrys Arm schob sich herein, in der Hand ein Glas Wein. Sie nahm es. Aus dem Türspalt spähend sah sie, dass Henry es sich auf dem Balkon gemütlich machte. Er legte die Füße auf den anderen Stuhl und schlug dann den Stadtplan auf, als wäre es die Times . Fünfunddreißig Minuten später gesellte sie sich, fest in das große weiße Duschhandtuch gewickelt, zu ihm. Er nahm die Füße vom zweiten Stuhl und schenkte sich und ihr Wein nach. Dann setzte sich Cassie, und beide legten die Füße aufs Balkongeländer. Unten im Garten zündete der Signore die Kerzen an. In der Feuerstelle in der Mitte brannte bereits ein Feuer.
»Hier steht, dass Calamari Grigliaund Spaghetti alle Vongole die hiesigen Spezialitäten sind.«
»Dann nehm ich beides«, grinste Cassie. Der Himmel färbte sich lila, ein paar letzte Tauben flatterten zurück in ihre Nachtquartiere.
»Ich hab mir den Stadtplan mal angeschaut«, sagte Henry in dem beschämten Ton, den Männer benutzen, wenn sie sich nach dem Weg erkundigen müssen. »Wollte mir zumindest mal merken, wo Norden ist. Der Campo San Polo müsste also ungefähr dort sein.« Er deutete über die Dächer nach links.
»Und was gibt’s da?«
»Im Sommer kann man da Spielfilme anschauen. Sotto le stelle . Unter den Sternen.« Er lächelte.
»O wow, toll! Das muss wirklich schön sein.« Sie seufzte, dann rief sie: »He, das musst du unbedingt auf die Liste setzen!« Sie hob die Prospekte vom Boden auf, wo er sie abgelegt hatte, und begann sie durchzublättern.
»Hab ich mir auch gedacht. Wir könnten wiederkommen und das machen.«
Wir? Cassie schaute ihn perplex an. »Du meinst, du und Lacey, oder?«
Er nahm einen Schluck Wein. Dann sagte er: »Ja, natürlich.«
»Das würde ihr sicher gefallen.« Cassie hielt einen Prospekt hoch. »Und schau dir das an – der Lido di Venezia. Das ist der Strand, an den die Einheimischen gehen. Dort könntest du auch mit ihr hingehen.«
»Mmm.« Er warf nur einen flüchtigen Blick auf den Prospekt und schaute dann wieder über den Garten.
»Soll ich’s aufschreiben?«
»Hm?«
»Für die Liste. Damit du’s nicht vergisst. Allerdings wär’s ein Wunder, wenn du diesen Campo Sowieso oder auch die kleine enoteca je wiederfinden würdest – bei deinem Orientierungssinn«, neckte sie ihn. »Ein Stadtplan! Tz. Mein Weltbild ist erschüttert.«
Henry lachte in sich hinein, das Gesicht der schwächer werdenden Sonne zugewandt. Cassie studierte sein Profil.
»Wie lange hast du gebraucht, um meine Listen zusammenzustellen?«, wollte sie wissen. Sie nahm einen Schluck Wein.
Er zuckte die Achseln. »Nicht lange. Diese Städte kenne ich ziemlich gut.«
»Na, ich kann’s jedenfalls kaum erwarten, die von London zu sehen.«
»Aber du wirst doch gar nicht mehr nach London kommen, schon vergessen?«
»Ach ja, stimmt«, seufzte sie. »Schade. Das wär’s fast wert gewesen zu kommen. Nur um zu sehen, was du dir für London einfallen lässt.«
»Freut mich, dass dir meine Listen so viel bedeutet haben.« Er streckte sich. »Was war das Schönste?«
»Gute Frage. Hm.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. »Ach ja, in New York definitiv Weihnachten bei Tiffany’s. Mann, war ich platt, als ich
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