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Ein Geschenk von Tiffany

Ein Geschenk von Tiffany

Titel: Ein Geschenk von Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swan Karen
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Ostersonntag – mit ihr eine Frühmesse in San Marco besuchen würde, aber das war zu offensichtlich für Henry. Sie hatten stattdessen ein Mini-Vaporetto über das bacino genommen – die Gischtspritzer hatten sie endgültig geweckt – und waren nach San Giorgio Maggiore gedüst. Das Boot hatte am Fuß einer majestätischen Kirche angelegt, deren Silhouette im stillen Wasser waberte. Nun lehnten sie sich aus dem Glockenturm – dem Campanile , wie Henry ihr erklärte – und schauten übers Wasser auf die Stadt mit ihren puppenkleinen Brücken und Wasserwegen. Alles war noch still. Nur langsam begann sich die Stadt zu regen, um den wichtigsten kirchlichen Feiertag des Jahres zu begehen. Überall in der Stadt begannen die Kirchenglocken zu läuten, unrhythmisch und teilweise misstönend, dafür aber umso enthusiastischer.
    Immer mehr Boote kreuzten die Lagune und rührten das Wasser auf. Der Markusplatz begann sich mit Touristen zu füllen.
    »Einfach fantastisch«, murmelte Cassie. »Hier oben zu sitzen und zuzusehen, wie eine Stadt erwacht. Das ist … das ist, als würde ein Herz wieder zu schlagen anfangen.« Sie warf Henry einen verlegenen Blick zu. »Sorry. Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben.«
    Henry schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Ich finde, es ist ein ausgezeichneter Vergleich.« Er schaute übers Wasser. »Wie ein Herz, das wieder zum Leben erwacht.«
    Über eine Stunde saßen sie dort, doch dann kamen immer mehr Touristen auf die Insel und störten die Stille. Sie ergriffen die Flucht, nahmen ein Boot zurück zum Canale Grande. Henry war entschlossen, alles zu vermeiden, was Touristenmassen anzog, Cassie dagegen war ebenso entschlossen, ein paar der wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Man einigte sich auf einen Kompromiss – erst kam einer von Henrys Vorschlägen, dann einer von Cassies.
    Cassie hatten sie es zu verdanken, dass er Grand-Cru-Ostereier zum Probieren bekam. Sie kauften sie bei der VizioVirtú Cioccolateria und aßen sie gleich als Frühstück. Zum Mittagessen folgten sie Henrys Instinkt in eine kleine finstere Osteria, die nur von Venezianern frequentiert wurde. Dort aßen sie Tomaten-Melonen-Suppe und ein Calamares-Risotto und tranken dazu den berühmten venezianischen Spritz, die venezianische Art der Weinschorle, der so gut war, dass sie gleich zwei Flaschen killten.
    Cassie zwang Henry dann zu einem Besuch des Guggenheim-Museums, wo sie mit offenen Mündern vortizistische Kunstwerke bestaunten, die englische Abart des Futurismus und Kubismus des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Henry wiederum war dafür verantwortlich, dass sie auf eine wunderbare kleine enoteca stießen, wo er den Inhaber dazu überredete, ihnen zwei Flaschen Fragolini Biancozu verkaufen, einen ganz besonderen italienischen Dessertwein, der aus erdbeerförmigen Trauben gekeltert und in diesem Laden nur unter der Theke gehandelt wurde.
    Und schließlich bestand Cassie auf einer Gondelfahrt – ein Horror für Henry, war dies doch der Inbegriff von Venedig-Tourismus.
    »Dir ist hoffentlich klar, dass die Kinder hier diese Boote die Japankutschen nennen?«, brummelte Henry und sah sich betreten um. Hoffentlich sah ihn keiner. Sie standen im Stau hinter fünf anderen Gondeln, die alle gerammelt voll mit Japanern waren, die aus vollen Kehlen sangen.
    Cassie kuschelte sich mit einem seligen Seufzer tiefer ins schwarze Ledersitzkissen. Es war herzförmig, an den Rändern mit dicken Münzen bestickt, die man eher an einem viktorianischen Altarkissen erwartet hätte als in einem italienischen Love-Boat. Das frühe Aufstehen rächte sich nun – und sie waren ja den ganzen Tag lang auf den Beinen gewesen. Die Japaner kümmerten sie nicht; alles, was sie wollte, war, sich ausstrecken und einen Moment lang ausruhen. Mit Henry unterwegs zu sein war zwar spannend, aber auch anstrengend. Sie waren etliche Kilometer zu Fuß gelaufen, hatten in kleine, dunkle Kirchen hineingeschaut und die kunstvollen Deckenfresken bewundert, waren durch schmale Gassen gewandert, über denen die Wäsche kreuz und quer an Leinen hing wie Wimpelketten. Sie hatten im Schneidersitz zu Füßen eines Campaniles gesessen und Eiscreme von Nico geschleckt – dem venezianischen Äquivalent von Berthillon – und den vorbeifahrenden Gondeln zugeschaut; später hatten sie sich in ein einsames Caffè auf dem Campo di San Giacomo dell’Orio gesetzt – laut Henry »einer der schönsten Plätze von Venedig« – und eine heiße

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