Ein Geschenk von Tiffany
wie eine Berührung auf ihr, die sie im Nacken spürte. Ob er merkte, dass sie nur so tat, als würde sie schlafen? Mit aller Kraft versuchte sie, tief und regelmäßig zu atmen – gar nicht so leicht, wenn einem das Herz schlägt wie ein Presslufthammer. Eine betäubende Stille breitete sich in der Dunkelheit zwischen ihnen aus. Sie hörte, wie er seine Hand auf die freie Stelle zwischen ihnen legte, spürte ihre Hitze, als wäre sie ein glühendes Holzscheit.
»Es wird keine Hochzeit geben. Wir haben sie abgesagt«, sagte er ruhig.
Diese Nachricht traf sie wie ein Schlag. Wie eine Ohrfeige, heiß und brennend, aber sie zwang sich, sich nicht zu regen, keinen Muskel zu rühren, sich nicht zu verraten. Denn wenn sie sich jetzt umdrehte …
»Cass? Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Er wartete auf ihre Antwort – auf irgendeine Reaktion. Als nichts kam, drehte er sich mit einem schweren Seufzer wieder um. Cassie lauschte atemlos. Nur wenige Minuten später verriet ihr sein langsamer Atem, dass er in einen tiefen, betrunkenen Schlaf gefallen war.
Sie dagegen lag neben ihm wie ein Stück Treibholz – fremd, verloren, hölzern, ausgewaschen. Nur ein Gedanke ging ihr wieder und wieder im Kopf herum: Wenn die Hochzeit abgesagt war und damit auch die Flitterwochen – was machten sie dann hier?
35. Kapitel
Als er endlich aufstand, saß sie bereits unten im Frühstückszimmer, trank Cappuccino und knabberte an einem Cornetto, während ihr Handy an der Rezeption aufgeladen wurde. Sie hatte beschlossen, so zu tun, als ob nichts passiert wäre, nicht die Sache auf dem Balkon und – was noch wichtiger war – seine ominöse Äußerung im Bett. Immerhin hatte sie so getan, als ob sie schlief, da konnte sie es sowieso nicht zur Sprache bringen.
Nicht, dass sie sich Sorgen darüber hätte machen müssen, wie sie ihre Fassade aufrechterhalten sollte. Ein Blick auf sein Gesicht, als er im Türrahmen auftauchte – bleich und verquollen –, verriet ihr, dass er einen ziemlich monumentalen Kater haben musste. Wahrscheinlich erinnerte er sich gar nicht mehr daran, dass er ihr das mit der abgesagten Hochzeit erzählt hatte. Andererseits … wenn es nur ein Witz gewesen war? Eine betrunkene Lüge? Vielleicht hatte er Lacey ja treu bleiben wollen, war aber dann – angetrunken wie er war – schwach geworden? Ein letztes Abenteuer, bevor er seiner Zukünftigen die ewige Treue schwor? Und die nächsten zwei Monate würde er in der Arktis verbringen … Hatte er nicht selbst gesagt, er sei kein Heiliger?
Sie starrte ihn an, während er im Türrahmen stand und den Raum mit trübem Blick nach ihr absuchte. Sie hatte keine Ahnung, was die Wahrheit war. Alles, was er sagte und tat, war ihr ein Rätsel.
Sie lächelte höflich, als er sich zu ihr setzte, fest entschlossen, ihre gestern verlorene Würde wieder zurückzuerobern. »Gut geschlafen?«
Er hob die Augenbrauen, wie um zu fragen, ob das ironisch gemeint war. Als ihm ihre Miene keinen Aufschluss gab, grunzte er: »Eher nicht.« Und zuckte zusammen. »Keine gute Idee.«
Cassie sagte nichts, schaute hinaus in den Garten. Draußen beschnitt ein Gärtner einen Busch Bougainvillea.
»Und du?«
»Ich?« Sie nahm ihre Kaffeetasse und sagte bemüht leichthin: »Ich bin früh ins Bett gegangen.«
Er nickte, was ihm, nach seiner Miene zu schließen, Schmerzen bereiten musste. »Hast du gestern noch zu Abend gegessen?«
Sie schüttelte den Kopf, fast beleidigt über diese Frage. Wie hätte sie danach noch essen können! »Mir ist der Appetit vergangen.«
»Ah.«
Eine hübsche junge Kellnerin tauchte auf, das lange schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihr rosa Kleid spannte ein wenig an den Hüften. Sie reichte Henry eine Speisekarte und tastete ihn dabei mit ihren Blicken ab.
In Cassie begann es bedrohlich zu kribbeln. Sicher eine von diesen Gelegenheiten, die Henry pausenlos ergriffen hatte.
»Ist mein Handy schon fertig?«, fragte sie spitz.
Der Blick des Mädchens streifte sie mit einer trägen Arroganz. »Ich frag mal«, sagte es und machte sich mit einem letzten Lächeln für Henry hüftschwingend davon.
»Argh, ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe«, sagte Henry und drückte die Fingerknöchel gegen seine Schläfen. »Cass, es tut mir so leid.«
Er hob den Kopf und schaute sie an, aber es war unmöglich zu sagen, wofür er sich entschuldigte. Für letzte Nacht? Für den Kater? Denn zu weiteren Sightseeing-Touren war er eindeutig nicht
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