Ein Geschenk von Tiffany
Der Bus sah aus, als würde er von innen heraus schimmern wie ein Glühwürmchen in der Dämmerung.
»Komm rein, komm rein«, riefen die Leute, die kurz ausgestiegen waren, um sie herzuwinken: Sie hatten sie als eine der ihren erkannt. Cassie trug ihre Einladung in ihrer Handtasche bei sich, doch offenbar war keine nötig. Es genügte, richtig angezogen und zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Eine andere Eintrittskarte brauchte man nicht.
Cassie kletterte in den Bus. Sie stieg vorsichtig über Körbe und Flaschen, die bis in den Laufgang hineinwuchsen. Es herrschte Partystimmung. Die Tür schloss sich hinter ihr, und die Busse fuhren los, die Rue de Rivoli entlang. Sitzplätze gab es keine mehr, aber Cassie wollte sowieso lieber stehen. Interessiert schaute sie sich die diversen Verkleidungen an: Einige hatten sich die Gesichter weiß geschminkt wie Pierrots, einige Frauen trugen ihre Hochzeitskleider, andere waren in einer Kopie des Hosenanzugs gekommen, den Bianca Jagger bei ihrer Hochzeit mit Mick angehabt hatte; einer war vollkommen in weiße Bandagen gewickelt wie eine Mumie. Ihr schicker Anzug wirkte dagegen einfallslos.
Die Busse wankten um Ecken, an berühmten Landmarken vorbei, und nahmen dabei weitere Gäste auf – Cassie zählte mindestens fünf andere Busse in ihrem Konvoi. Schließlich kam der Zug vor der Opéra zum Halten. Die Türen falteten sich auf, und die Leute sprudelten heraus. Jeder schien zu wissen, was zu tun war: Tische wurden aufgestellt, Tischtücher ausgebreitet, Kerzenleuchter aufgestellt, Teelichter entzündet. Korken knallten, geräucherter Lachs wurde ausgepackt. Cassie beobachtete voller Staunen, wie die Busse ihre Ladung den ganzen Boulevard des Capucines entlang ausspuckten. Die Leute verteilten sich auf den Bürgersteigen. Nach wenigen Minuten sah es aus, als wäre eine Straßenseite in Schnee gehüllt wie nach einem Blizzard.
Reglos stand sie da, ihre Körbe in den Händen. Sie wusste nicht recht, was sie jetzt tun sollte. Jeder schien hier irgendjemanden zu kennen. Cassie fühlte sich verloren, obwohl die Leute sehr freundlich waren. Zum hundertsten Mal fragte sie sich, wieso sie überhaupt gekommen war. Es war Wahnsinn. Es war unangebracht.
»Ihr erstes Mal?«, fragte eine Frau hinter ihr.
Cassie wandte sich um. Eine dünne, extrem blonde Frau schaute sie mit einem kleinen Lächeln an. Cassie erkannte sie sofort. Wen auch immer sie hier zu treffen erwartet hatte – diese Frau am allerwenigsten.
»Mrs Holland?«
»Katrina, bitte.« Die Frau verengte konzentriert die Augen. »Cassie, ja? Von Dior?«
»Ja.« Cassie war erstaunt, dass Katrina sich an ihren Namen erinnerte. Ihr Treffen in Anouks Studio – kurz und ereignislos – lag drei Monate zurück. Cassie konnte ja zumindest auf die Gedächtnishilfen der Klatschpresse zurückgreifen – ganz zu schweigen von ihrer nie versiegenden Informationsquelle namens Bas.
»Sie wirken überrascht.«
Cassie schüttelte den Kopf. Wo blieben nur ihre Manieren? »Es überrascht mich ja schon, dass ich hier bin«, sagte sie, »keine Ahnung, wie ich eine Einladung bekommen habe.«
»Das weiß hier keiner«, sagte sie lächelnd. Ihr Haar war fast albinoweiß – Bas’ patentierter Kamille-Haarton – und nicht viel dunkler als der elfenbeinfarbene Crêpe-de-chine-Jumpsuit, der Katrinas laufstegdürre Gestalt vorteilhaft in Szene setzte. »Sind Sie in Begleitung?«
Cassie schüttelte den Kopf. »Ich … ich wusste nicht, ob das erlaubt ist.«
»Möchten Sie sich dann vielleicht zu mir setzen? Ich bin auch allein.« Sie wies auf einen kleinen Tisch. Keine Spur von einem muskelbepackten »Begleiter« oder einem Miniaturhündchen. Nur ein schneeweiß gekleideter Butler, der soeben ein schneeweißes Tischtuch glatt strich und feines weißes Porzellan und weißgoldenes Besteck aufdeckte.
Cassie nickte dankbar. »Danke, das wäre sehr nett.« Sie lächelte. »Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht …«
»Nein, natürlich nicht. Kommen Sie, wir probieren den Salon. Es ist ein Blanc de Blancs, der weißeste Champagner, der mir eingefallen ist.« Lächelnd schenkte sie ihnen beiden ein Glas ein. »Der ist unglaublich selten. Nur zwei Jahrgänge seit dem Beginn des Millenniums.«
Cassie sah zu, wie der Butler einen riesigen Fortnum-Picknickkorb, der von zwei Helfern aus einer Limousine gehievt und herbeigetragen worden war, auszupacken begann. Kammmuscheln, moules marinières , Austern, foie gras und sole meunières wurden auf
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