Ein Geschenk von Tiffany
vorgewärmten Platten angerichtet. Cassie schob ihren Korb verstohlen unter den Tisch. Sie schämte sich zu sehr, um ihn dem Butler zu überreichen. Ihre Käsebaguettes konnten es mit dieser Delikatessenparade nicht aufnehmen. Ihr war die Freude am Kochen vergangen, und sie wollte nicht darüber reden. Und nicht nur am Kochen. Auch am Essen. Sie war schon froh, wenn sie morgens eine halbe Scheibe Toast schaffte.
Aber Cassie merkte, dass sie sich unnötig Sorgen machte. Katrina bewegte sich in den obersten Kreisen der Gesellschaft und war es gewöhnt, dezent zu sein. Eine bessere Tischpartnerin konnte es nicht geben für jemanden, der in tiefer Trauer war. Sobald sie sich hingesetzt hatten, begann sie sich ausschließlich bei den Austern zu bedienen, die sie mit einer silbernen Austerngabel aß. Cassie selbst schaffte nur ein paar Kammmuscheln und etwas Salat. Katrina und sie unterhielten sich über Bas, den sie beide als wahres Genie mit Schere und Föhn schätzten.
Die Zeit verging, und die Stimmung wurde ausgelassener. Das lag nicht nur am guten Essen oder an den Passanten, die staunend stehen blieben, applaudierten und Fotos machten, oder an den Autofahrern, die kurz hupten, wenn sie vorbeifuhren, sondern vor allem an einem Laster, der mit einer offenen Ladefläche ganz langsam vorbeifuhr. Auf dieser Ladefläche hatte eine Jazzband Platz genommen, die fröhliche Livemusik spielte.
Als einige Picknickgäste spontan aufsprangen und zu tanzen begannen, erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt. Cassie dagegen fühlte sich immer unbehaglicher. Seit der Beerdigung vor zwei Wochen schottete sie sich komplett ab, ging nur zur Arbeit, machte höchstens mal einen Spaziergang an der Seine, ganz frühmorgens, wenn noch niemand zu sehen war, außer den Clochards, die unter den Brücken Schutz suchten. Und jetzt saß sie hier, inmitten einer fröhlichen, lärmenden Party, bei Musik und Tanz und Gelächter und weißen Gestalten.
Sie schloss einen Moment die Augen. Sie sollte nicht hier sein. Es war zu viel, zu laut, zu lebendig. Es war falsch, auf eine Party zu gehen, wenn ihr armer, verzweifelter Freund erst kurz vorher aus dem Leben geschieden war.
Sie machte schon den Mund auf, um sich bei Katrina zu entschuldigen – ein schrecklicher Fauxpax, das wusste sie, eine derart vorbildliche Gastgeberin so einfach stehen zu lassen –, doch in diesem Moment ertönte ein Geräusch, als würde weiter vorne ein Mikrofon angeschaltet.
»Meine Damen und Herren«, sagte ein Mann, so laut er konnte, denn es war trotz des Mikrofons nicht einfach, sich in der langen Straße Gehör zu verschaffen. Der Mann trug einen weißen Anzug mit Hut, dazu eine dunkle Sonnenbrille, damit man ihn nicht erkannte. »Danke, dass Sie zu unserem heutigen dîner en blanc gekommen sind. Jene, die nicht zum ersten Mal hier sind, wissen, dass diese dîners nur dank Ihrer Diskretion und Verschwiegenheit in dieser Art möglich sind.« Applaus und Gelächter. Cassie blieb stumm, von Trauer und Schuldgefühlen geplagt.
»Das und Ihrer joie de vivre und Ihrem guten Geschmack.« Erneut Applaus. »Heute Abend sind wir hier, um das zu feiern, was die Essenz von Paris ausmacht: gutes Essen, guter Wein und gute Gesellschaft – und wir hoffen, dass Sie, wenn Sie heute Abend von hier fortgehen, nicht nur gut gegessen und gut getrunken, sondern auch viele neue Freunde gefunden haben.«
Die Menge jubelte – und nicht nur die weiß gekleideten Picknickgäste. Die Zuschauer standen mittlerweile bereits mehrere Reihen tief.
»Aber bevor wir weitermachen, möchte ich euch um eine Minute eurer Zeit bitten. Wie ihr wisst, ziehen wir es vor, anonym zu bleiben, aber ein tragischer Vorfall hat uns veranlasst, mit dieser Tradition zu brechen, um eines unserer Gründungsmitglieder zu ehren – Claude Bouchard …«
Cassies Kopf zuckte hoch. Was?
Sie schaute Katrina an, als erwartete sie, dass diese weniger überrascht war als sie, aber Katrina wirkte ebenso durcheinander, wie Cassie sich fühlte. Sie hatte ihren Stuhl ein wenig zurückgeschoben und betupfte sich mit einer feuchten Serviette den Nacken. Cassie fiel auf, dass ihre Hände zitterten.
»Sie haben seinen Namen zwar wahrscheinlich noch nie im Zusammenhang mit diesem Verein gehört, doch wird er den meisten von euch ein Begriff sein. Claude war ein Pionier in der Welt der Haute Cuisine, einer der größten Köche von Paris. Er hat Speisen kreiert, die einen ins Paradies versetzt haben. Die Kochkunst war für ihn die
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