Ein Geschenk von Tiffany
der runden weißen Tabletten.
Cassie schnappte entsetzt nach Luft. »Kelly!«
Kelly ließ die Schultern sinken und den Hals kreisen. »Ibuprofen, Cassie, harmlose Schmerztabletten! Gleich hier, danke«, sagte sie zum Fahrer und schüttete Cassie die Tabletten in die Handfläche.
»Und wozu sollte ich die brauchen? Ich lass mich nicht piercen oder tätowieren, Kelly! Und wenn’s noch so in sein sollte!«
»In? Hast du wirklich ›in‹ gesagt?« Kelly rümpfte die Nase und bezahlte das Taxi. Sie stieg aus und hielt Cassie die Tür auf. Dann nahm sie ihre Freundin in den Klammergriff und marschierte auf ein lagerhausähnliches Gebäude zu. »Nur was du unbedingt wissen musst, ja? Das haben wir doch schon besprochen.« Sie tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Cassie, ich bin eine deiner ältesten und besten Freundinnen. Du kannst dich drauf verlassen, dass alles, was ich tue, nur zu deinem Besten ist.« Sie stieß die Eingangstür mit ihrem Po auf, als ihr BlackBerry klingelte.
»Wo sind wir hier?«, wollte Cassie wissen.
»Der einzige Ort, der es wert ist, dafür die Schwelle der 57th South zu überschreiten«, antwortete Kelly prompt. Wie eine Lounge-Sängerin drapierte sie sich über den marmornen Empfangstresen. »Hallo, Trudie. Hat Bas jetzt für uns Zeit?«
Die Rezeptionistin nickte. »O ja. Er hat sich den ganzen Vormittag für euch frei genommen.«
Cassies Panik nahm zu. Was um Himmels willen hatten sie mit ihr vor?
»Hier entlang, bitte«, sagte die Rezeptionistin lächelnd. Sie händigte Cassie einen schwarzen Frisierumhang aus und führte sie über blank polierte Walnussböden. Überall Frauen in Frisiersesseln, Alufolie in den Haaren, Handtücher oder Trockenhauben auf dem Kopf. So weit, so normal.
Dann erblickte sie ihn. Den Mann, zu dem Kelly hinrannte und den sie wie einen lang verschollenen Freund umarmte.
»Cassie, das ist Sebastian. Bas«, erklärte Kelly. Dann nahm sie einen tiefen Atemzug. »Und das ist Cassie.« Sie sagte es in einem Ton, als würde sie ein besonders beindruckendes Denkmal enthüllen.
»Hallo«, sagte Cassie schüchtern. Sie war entsetzt. Der Mann, der vor ihr stand, war eine klapperdürre Bohnenstange, mindestens eins neunzig groß. Sein Gesicht war voller Aknenarben, und sie musste bei seinem Anblick unwillkürlich an den braunen Zwieback denken, den sie als Kind immer bekommen hatte, wenn sie krank war. Sie hatte noch nie jemanden mit einer derartigen Sonnenbräune gesehen. Mahagoni war noch untertrieben. Der Mann hatte Mahagoni hinter sich gelassen, ohne anzuhalten.
Aber das war noch nicht mal das Schlimmste. So, wie er sie ansah, konnte man meinen, dass sie diejenige war, mit der etwas nicht stimmte.
Er verengte die Augen. »Hm. Nehmen Sie Platz«, befahl er hochmütig.
Eingeschüchtert glitt sie auf den Sessel. Er schwang sie zu sich herum und begutachtete sie eingehend. Ein wenig angeekelt betastete er eine Haarlocke. Es stimmte, sie hatte sie seit der Party nicht mehr gewaschen, hinzu kamen der Jetlag, ein Überseeflug, ein gebrochenes Herz und ein Fast-Infarkt beim Joggen (Kelly hatte außerdem beim morgendlichen Duschen das ganze heiße Wasser verbraucht, sie hätte sich die Haare also selbst dann nicht waschen können, wenn sie gewollt hätte). Kurz und gut, sie sah wahrscheinlich nicht gerade umwerfend aus. Mit trockenem Mund ließ Cassie die Musterung durch die beiden über sich ergehen. Die feierliche, todernste Musterung. Als würde alles davon abhängen, ob er ihr helfen konnte oder nicht.
»Wann ist das zum letzten Mal getönt worden?«, fragte er und hielt sich eine ihrer Locken vor die Augen. »Das muss Jahre her sein«, murmelte er.
»Ehrlich gesagt, ich habe meine Haare nie gefärbt. Oder getönt«, sagte Cassie. Sie war stolz darauf, dass ihre Haare ihre natürliche Farbe bis jetzt behalten hatten – mehr oder weniger –, auch wenn ihre Mutter ständig behauptete, dass sich das ändern würde, sobald sie mal Kinder bekäme.
Bas’ Hand zuckte zurück. Sein Blick huschte über ihr Gesicht, ihre zerknitterte Kleidung, die wild wachsenden, sprich, ungezupften Augenbrauen, unmanikürten Fingernägel … wenn der wüsste, was sich erst unter ihrer Jeans abspielte.
»Sie sind wohl nicht von hier, was?«, erkundigte er sich mitfühlend.
Cassie schüttelte den Kopf. War das nicht offensichtlich? Marsmännchen wären hier weniger aufgefallen als sie.
Kelly warf einen Blick auf ihre Uhr. »Also dann, wird es gehen? Wirst du ihr helfen
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