Ein Geschenk von Tiffany
nicht etwa unter Vollnarkose, nein. Mit zwei mickrigen Schmerztabletten!
Die Frau reichte Cassie eine laminierte Karte mit verschiedenen Abbildungen. Cassie schaute sie sich an. Was war das? Eine Art Sehtest? Flugsicherheitsanweisungen? Tätowierungen? Ein Rorschachtest? Sie drehte die Karte um. Hinten war sie leer. »Sie meinen, ich soll mir davon was aussuchen?«
»Mhm«, sagte die Frau, während sie die Schere klappern ließ.
Knallrot konzentrierte sich Cassie auf die Abbildungen. Es gelang ihr nur schwer zu verdrängen, dass diese Fremde, diese ihr unbekannte brasilianische Frau, ihre Intimzone nun besser kannte als jeder andere – einschließlich ihres Ehemannes. Der hatte kein sonderliches Interesse gehabt, diese Region näher in Augenschein zu nehmen.
Herz, Oval, Rhombe, Blatt, Streifen, Stern – es verschwamm ihr vor den Augen. War das ein Dollarzeichen? Zum zweiten Mal an diesem Tag sah sie sich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, auf die sie im Leben nicht gekommen wäre, die aber sofort und auf der Stelle gefällt werden musste.
Sie seufzte. Was spielte es überhaupt für eine Rolle? Es würde eh keiner zu sehen kriegen. Unwichtig. Eine Kleinigkeit. Was Entscheidungen betraf, konnte es diese hier jedenfalls nicht mit der aufnehmen, seinen Mann und seine Heimat hinter sich zu lassen. Und ging es bei allem, was sie hier tat, nicht sowieso darum zu zeigen, dass sie bereit war, mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu leben? Dass sie nach vorne schaute, das Beste daraus machte, stärker wurde, sich weiterentwickelte?
»Herz«, stieß sie mit einem tapferen Lächeln hervor. Die Frau legte die Schere beiseite und griff nach der Tube mit dem warmen Wachs. Cassie schwante, dass sie beim Verlassen dieses Gebäudes noch schockierter aussehen würde als beim Betreten.
»Du hast mir verschwiegen, was sie einem da drinnen antun!«, zischte Cassie, während sie aus dem Taxi stieg und Bill herbeieilte, um ihnen die Tür aufzuhalten.
»Natürlich, was glaubst du?«, entgegnete Kelly. »Das würde doch keiner mitmachen, wenn er’s im Voraus wüsste. Ist wie Kinderkriegen. Wenn man vorher weiß, wie schlimm es wird … tz, dann würde die menschliche Rasse in fünfzig Jahren ausgestorben sein.« Sie bezahlte den Fahrer. »Aber es fühlt sich gut an, was? So sauber. Danke, Bill.«
»Nein, tut es nicht«, schimpfte Cassie. »Danke, Bill.« Sie fühlte sich … vergewaltigt. Verletzt. Beschmutzt. Wahrscheinlich stand sie unter Schock. Sie fühlte sich wie an dem Tag, an dem sie ihre Jungfräulichkeit an Gil verloren hatte – als ob es jeder wüsste. »Ich fühle mich nackt. Und feucht. Ich hab dreimal so viel Papier gebraucht, als ich auf dem Klo war. Wenn das nicht umweltschädlich ist!«
Sie betraten den Lift, und sofort machte sich das Aroma des Thaigemüses darin breit, das aus ihren Tüten aufstieg. Kelly schaute sie kopfschüttelnd an. »Umweltschädlich? Also das Argument hab ich noch nie gehört. Außerdem hat jede, die ich kenne, einen Brazilian.«
»Nein, das glaube ich nicht!«, protestierte Cassie. Sie konnte nicht glauben, dass es hier eine regelrechte Frauenbewegung gab, die den Männern so etwas als Norm präsentierte.
Achselzuckend trat Kelly aus dem Lift. »Also, ich finde jedenfalls, es hat sich gelohnt. Du siehst göttlich aus. Ich kann kaum glauben, dass dies dieselbe Person ist, die heute früh auf einer Parkbank zusammengebrochen ist und Henry Sallyford überfallen hat.«
»Ich hab ihn nicht überfallen!«
»Wirst du diese Kleider nun anprobieren, wenn wir drin sind?«, fragte Kelly und schloss ihre Tür auf. »Kann’s kaum erwarten, dich noch mal in diesem rubinroten Kleid zu sehen.«
»Aber es passt mir doch nicht.«
»Noch nicht. Ein paar Tage Frühsport, und du passt rein.«
»Dir würde es aber viel besser stehen.«
»Ach, wir können ja mal tauschen«, sagte Kelly. Ein erleichterter Ausdruck huschte über ihr Gesicht, während sie ihre Stiefel auszog und dann im Schlafzimmer verschwand, um ihren Jumpsuit anzuziehen.
4. Kapitel
»Wer zum Teufel hat das bestellt?!«, donnerte die Stimme. Cassie zuckte zusammen wie eine erschreckte Maus. »Damit kann ich nichts anfangen! Ich hab Duchessespitze bestellt, nicht Guipure. Diesen Dreck kann ich nicht an das verdammte Kleid dranmachen, da könnte ich ebenso gut einen Teppich nehmen!«
Cassie richtete ihre Augen – das Einzige, was sie zu bewegen wagte – auf Kelly, die ernst in die offene Schachtel blickte. Nach ihrem
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