Ein Geschenk von Tiffany
Willen, sich zu wehren, nachdem ihre Ehe gerade in die Brüche gegangen war. In Paris hatte er versucht, ihr begreiflich zu machen, dass ihr Wert nicht von Äußerlichkeiten abhing. Und London …?
Wieder versuchte sie Hattie einzufangen. »Und Maiden’s Blush ? Das ist die letzte, ich versprech’s.«
»Bedaure, Liebes, ich hab seit Jahren nicht mehr in dieses Büchlein reingeschaut.« Hattie zuckte mit den Schultern.
Cassie machte ein enttäuschtes Gesicht. »Du weißt es nicht mehr?«
»Schau selbst nach. Es ist in der Bibliothek.«
In der Bibliothek? Cassie konnte sehen, dass Gil bereits auf dem Weg zurück zu ihrem Tisch war. Schon sah er sich suchend im Zelt nach ihr um. Cassie duckte sich und schlängelte sich zwischen den Tanzenden hindurch zum DJ, hinter dessen Pult sie abtauchte. Über Kabel stolpernd nahm sie den Caterer-Ausgang, vorbei an Mülltonnen voller leerer Flaschen.
Sie rannte über die Terrasse, an der überraschten Suzy vorbei, die Cupcake in den Armen hielt, durchs Wohnzimmer und in die dahinterliegende Bibliothek. Hier war es düster, nur eine Schreibtischlampe brannte. Sie spürte die Bassvibrationen aus dem Musikzelt in den alten Holzdielen. Rasch suchte sie die Regale ab. Massenweise alte Ausgaben von Gardens Illustrated standen neben Pflanzenlexika und prächtigen Bildbänden, in denen die Arbeiten der berühmtesten Gartenbauer Englands verewigt waren: Bunny Guinness, William Kent, Charles Bridgeman.
Aber das Buch, das sie suchte und schließlich auch fand, war viel bescheidener: ein schmales Bändchen mit reizenden altmodischen Illustrationen. The Language of Flowers, illustrated by Kate Greenaway .
Die Sprache der Blumen. Sie schlug das Büchlein auf. Es war eine Erstedition von 1884, und die Seiten hatten diesen Geruch, den sie so liebte. Auf dem Vorlegblatt stand in Bleistift in einer kindlichen Schrift:
Alles Gute zum 40. Geburtstag, Mum
Von deinem Henry xxxx
Sie blätterte darin herum. Es war ein alphabetisch geordneter Index von Blumen mit der jeweils dazugehörigen Bedeutung. Auf einigen Seiten waren schmutzige Fingerabdrücke, einige Zeilen waren mit einem dicken Filzstift markiert, offenbar ebenfalls von einer kindlichen Hand. Andere Zeilen waren mit energischen, selbstbewussten Häkchen versehen. Hier lagen ihre Antworten, das wusste sie.
Zitternd blätterte sie zum Buchstaben M.
Madder; Magnolia; Magnolia, Swamp; Mallow …
Es stand nicht da! Sie holte tief Luft und versuchte sich zu konzentrieren. Dann fiel es ihr wieder ein. Cuisse de Nymphe . Es musste unter C stehen.
Wieder nichts.
»Jetzt komm schon«, murmelte sie … R! Es war eine Rose. Sicher musste es unter R wie Rose stehen.
Sie blätterte rasch weiter, aber das war nicht so einfach. Das Büchlein war klein und die Seiten dick und sperrig. Doch dann wusste sie, dass sie die richtige Seite gefunden hatte. Sie wusste es, ohne eine Zeile lesen zu müssen. In die Buchfalte war ein kleiner Silberschlüssel geklebt worden, daran hing ein Zettelchen, auf dem stand:
Wenn du ihn willst, dann gehört er dir.
Es war der Schlüssel zu ihrem silbernen Tiffany’s-Schloss. Er war gar nicht verloren gegangen. Er hatte immer hier auf sie gewartet. Jetzt könnte sie sich ihren Anhänger wiederholen, wenn sie wollte.
Sie zog vorsichtig den Tesafilm ab und ließ das Schlüsselchen in ihrem BH verschwinden. Warum sollte sie ihn auch nicht wiederhaben wollen? Wer würde schon einen massiven silbernen Anhänger von Tiffany’s an einer Brücke in Paris verrotten lassen?
Sie überflog die Zeilen.
Rose, Guelder; Rose, Hundred-Leaved; Rose, Japan; Rose, Maide …
Ihr Herz machte einen Sprung. Langsam fuhr sie mit dem Finger über die Zeile. Das Papier fühlte sich ein wenig pelzig an, und ihre Fingerspitze kribbelte.
Rose, Maiden’s Blush … If you love me, you will find it out.
Wenn du mich liebst, wirst du es herausfinden.
Worte schossen ihr durch den Sinn wie Geister aus der Vergangenheit, die gehört werden wollten. Wenn du mich liebst, wirst du es herausfinden. Wenn du mich liebst … Nicht nichts … Alles. Unerfüllte Liebe … finde es heraus.
Das Buch fiel ihr aus den Händen. Sie war wieder in Venedig und überprüfte im Spiegel ihr Augen-Make-up.
Er wandte sich zur Seite, um eine Boxershorts vom Türhaken zu nehmen, sah auf und … ihr direkt in die Augen.
Und für einen winzigen Moment, bevor sie von Scham überwältigt wurde, spürte sie die Kraft dieses Blicks wie einen Schlag, der ihr den Atem
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