Ein geschenkter Tag
aufwachsen.
Was jetzt folgte, war übel. Anwälte, Tränen, Erpressung, Kummer, durchwachte Nächte, Müdigkeit, Verzicht, Schuldgefühle, der Schmerz des einen gegen den Schmerz des anderen, Aggressivität, Bescheinigungen, Gerichtsverfahren, Parteibildungen, Berufung, Luftmangel und Kopf gegen die Wand. Und mittendrin zwei kleine Jungs mit hellen Augen, für die sie weiterhin den Kasper machte, indem sie sich auf dem Bettrand sitzend Geschichten von furzenden Prinzen und doofen Prinzessinnen ausdachte. Das war gestern, und die Glut ist noch warm. Es braucht nicht viel, dass der vom Kummer gezeugte Kummer von neuem die Schleusen öffnet, und ich weiß, wie schwierig es morgens mitunter ist. Kürzlich hat sie mir gestanden, dass sie, wenn die Kinder zum Vater fuhren, lange vorm Spiegel in der Diele stand und zusah, wie sie weinte. Sich auflöste.
Das war der Grund, warum sie eigentlich nicht mit zur Hochzeit kommen wollte.
Sich die Familie antun. Die Onkel, die alten Tanten und entfernten Cousins. Die ganzen Leute, die nicht geschieden sind. Die sich arrangiert haben. Die es anders gemacht haben. Ihre leicht teilnahmsvollen oder leicht bestürzten Mienen. Das ganze Theater. Das jungfräuliche Weiß, die Bachkantaten, die ewigen, auswendig gelernten Treueschwüre, die Pennäler-Reden, beide Hände auf dem Kuchenmesser und An der schönen blauen Donau, wenn die Füße langsam zu schmerzen begannen. Aber vor allem: die Kinder. Die der anderen.
Die den ganzen Tag herumtoben, die Ohren leicht gerötet, weil sie die Reste in den Gläsern ausgetrunken haben, die ihre schönen Kleider beschmutzt haben und betteln, dass sie nicht sofort ins Bett müssen.
Die Kinder rechtfertigen die Familientreffen und versöhnen uns damit.
Ihnen zuzusehen ist immer noch das Schönste. Sie sind die ersten auf der Tanzfläche und die einzigen, die sich trauen zu sagen, dass der Kuchen eklig schmeckt. Sie verlieben sich zum ersten Mal im Leben und schlafen erschöpft auf dem Schoß ihrer Mütter ein. Pierre war als Brautführer vorgesehen, er hatte schon festgestellt, dass sein Cyberschwert perfekt in den Gürtel passte, und fragte sich, ob er nach der Kollekte wohl ein paar Geldstücke stibitzen könnte. Aber Lola hatte sich auf dem Kalender des Richters versehen: Es war nicht ihr Wochenende. Kein Körbchen und keine Reisschlacht auf dem Kirchplatz. Man hat ihr vorgeschlagen, Thierry anzurufen, um zu fragen, ob sie das Wochenende tauschen könnten. Sie hat auf den Vorschlag nicht einmal reagiert.
Aber sie würde kommen! Und Vincent würde uns ebenfalls erwarten! Wir könnten uns zu viert an einen Tisch etwas abseits setzen, hinter einem Zelt ein paar Flaschen stibitzen und uns über den Hut von Tante Solange auslassen, über die Hüften der Braut und das lächerliche Gebaren unseres Cousins Hubert mit seinem geliehenen Zylinder, den er auf die großen Ohren gedrückt hatte. (Seine Mutter hatte von einer Korrektur derselben nichts wissen wollen, denn »man zerstört nicht Gottes Werk«.) (He? Klingt herrlich nach antiker Tragödie, oder?)
Die Familie kam wieder zusammen. Das Leben versuchte sich im Viererpuzzle.
Schön ist die Welt, kommt Schwestern, lasst uns reisen ...
* * *
»Warum fährst du hier ab?«
»Wir sammeln Lola noch auf«, antwortet Simon.
»Wo das denn?«, sein Schatz erstickte fast an der Frage.
»Am Bahnhof von Chateauroux.« »Ist das ein Witz?«
»Keineswegs. Sie kommt in vierzig Minuten an.« »Warum hast du mir das nicht gesagt?« »Ich habe es vergessen. Sie hat mich vorhin angerufen.« »Wann?«
»Als wir an der Raststätte waren.« »Ich habe nichts gehört.« »Du warst auf der Toilette.« »Aha. Ich verstehe ...« »Was verstehst du?« »Nichts.«
Ihre Lippen besagten das Gegenteil.
»Gibt's ein Problem?«, fragte mein Bruder verwundert.
»Nein. Kein Problem. Überhaupt kein Problem. Nur, dass du dir das nächste Mal am besten ein Taxischild aufs Autodach schraubst, um Missverständnisse zu vermeiden.«
Er reagierte nicht. Seine Fingergelenke erblassten.
Carine hatte Léo und Alice bei ihrer Mutter gelassen, um - ich zitiere, Doppelpunkt, Anführungszeichen, ein romantisches Liebeswochenende zu verbringen, drei Pünktchen, Abführungsstriche.
Es versprach heiß herzugehen!
»Und ihr, habt ihr auch noch die Absicht, im selben Hotelzimmer zu übernachten wie wir?«
»Nein, nein«, ich schüttelte den Kopf, »mach dir keine Sorgen.«
»Habt ihr was
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