Ein geschenkter Tag
reserviert?«
»Äh - nein.«
»Na klar. Hab ich's mir doch gedacht.«
»Aber das ist überhaupt kein Problem. Wir schlafen, wo es passt! Wir übernachten bei Tante Paule!«
»Tante Paule hat kein Bett mehr frei. Das hat sie mir vorgestern noch am Telefon gesagt.«
»Dann schlafen wir halt gar nicht, fertig aus!«
Darauf antwortete sie Sonhobeltespak und spielte mit den Fransen ihres Pashmina-Schals.
Ich stellte mich taub.
Zu allem Überfluss hatte der Zug auch noch zehn Minuten Verspätung, und als er endlich einlief und die Fahrgäste ausstiegen, war weit und breit keine Lola zu sehen.
Simon und ich bekamen es mit der Angst.
»Seid ihr sicher, dass ihr Châteauroux und Chateaudun nicht verwechselt habt?«, krakeelte die Schnepfe.
Und dann tauchte sie endlich auf. Ganz am Ende des Bahnsteigs. Sie hatte im letzten Waggon gesessen, war bestimmt Hals über Kopf in den Zug gestiegen, aber sie war leibhaftig zu sehen und kam winkend auf uns zu.
Ganz sie selbst und so, wie ich es erwartet hatte. Ein Lächeln auf den Lippen, der etwas wiegende Gang, die Ballerinas, die weiße Hemdbluse und ihre alte Jeans.
Sie trug einen total flippigen Hut. Ein riesiges Teil mit breiter Krempe und einem breiten schwarzen Seidenripsband.
Sie hat zuerst mich umarmt. Was siehst du gut aus, sagte sie, hast du dir die Haare schneiden lassen? Dann umarmte sie Simon, streichelte ihm den Rücken und setzte ihren großen Hut ab, um Carines Löckchen nicht zu gefährden.
Sie war gezwungen gewesen, sich in den Fahrradwagen zu setzen, um ihre Flügelhaube ablegen zu können, und fragte, ob wir einen kleinen Umweg über die Bahnhofgaststätte machen könnten, damit sie sich ein Sandwich kaufen konnte. Carine warf einen Blick auf die Uhr, und ich nutzte den Moment, um mir eine Promizeitschrift zu kaufen.
Die Klatschpresse. Eine süße Versuchung ...
Wir stiegen wieder ins Auto. Lola fragte ihre Schwägerin, ob sie ihren Hut auf den Schoß nehmen könne. Kein Problem, antwortete diese mit einem etwas gezwungenen Lächeln. Kein Problem.
Meine Schwester reckte das Kinn, wie um zu fragen, was ist los?, und ich verdrehte die Augen, um ihr zu signalisieren, alles wie immer.
Daraufhin lächelte sie und fragte Simon, ob er Musik im Auto habe.
Carine antwortete, ihr brumme der Schädel.
Ich lächelte ebenfalls.
Anschließend fragte Lola, ob jemand Nagellack für ihre Fußnägel dabeihabe. Einmal, zweimal, keine Antwort. Schließlich hielt unsere Lieblingsapothekerin ihr ein kleines rotes Fläschchen hin:
»Aber gib auf die Sitze acht, ja?«
Danach haben wir uns typisch schwesterliche Sachen erzählt. Diese Szene überspringe ich. Sie enthält zu viele Geheimcodes, Auslassungen und jede
Menge Gekicher. Und ohne Ton bringt es nicht viel.
Schwestern werden das verstehen.
Dann waren wir mitten in der Pampa, Carine hielt die Karte, und Simon wurde ständig angepflaumt. Irgendwann sagte er:
»Gib Garance die verdammte Karte! Sie ist die einzige mit Orientierungssinn in dieser verfluchten Familie!«
Wir haben uns auf dem Rücksitz angeschaut und die Stirn gerunzelt. Zwei Flüche in einem Satz und ein Ausrufezeichen am Ende. Das war kein gutes Zeichen.
Kurz bevor wir zum Schlösschen unserer Tante Paule kamen, hat Simon einen kleinen mit Brombeerbüschen gesäumten Weg aufgetan. Wir stürzten uns auf die Beeren und riefen uns mit Tremolos in der Stimme die Laubengänge unseres Hauses in Villiers in Erinnerung. Carine, die ihren Hintern nicht vom Auto wegbewegt hatte, erinnerte uns daran, dass die Füchse auf die Beeren pinkelten. Das war uns egal.
Großer Irrtum ...
»Ach so. Und der Fuchsbandwurm, nie davon gehört, was? Die Larven der Parasiten werden durch den Urin übertragen und ...«
Mea culpa, mea maxima culpa, ich konnte mich nicht länger beherrschen:
»So ein Schwachsinn! Der reinste Bullshit ist das! Füchse haben zum Pissen die ganze Natur! Die ganzen Wege hier! Die ganzen Böschungen! Die ganzen Bäume und die ganzen Felder drumrum, warum sollten sie ausgerechnet hierher kommen und auf unsere Brombeeren pissen?! Totaler Blödsinn ist das! So was bringt mich um. Genau das macht mich krank. Leute wie du, die einem immer alles verderben müssen ...«
Sorry. Mea culpa. Es ist alles meine Schuld. Ganz allein meine Schuld. Ich hatte mir geschworen, mich gut zu benehmen. Ich hatte mir geschworen, eine wahrhaft zenmäßige Ruhe zu bewahren. Noch heute morgen hatte ich mich mit dem
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