Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gesicht in der Menge

Ein Gesicht in der Menge

Titel: Ein Gesicht in der Menge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ein halbes Jahrhundert älter als seine Arbeitgeber. Wie so viele Leute seines Alters hatte er es nicht eilig. Das war einer der Gründe, warum Evers nicht mehr Auto fuhr.
    «Toller Platz», sagte der Alte und kräuselte die Stirn. «So ziemlich der Beste im ganzen Stadion. Und dann kommen Sie auch noch zu spät.» Verständnislos schüttelte er den Kopf.
    «Ich wäre ja früher gekommen», sagte Evers, «aber meine Frau ist gestorben.»
    Der Platzanweiser erstarrte mitten in der Bewegung, Evers’ Karte in der Hand.
    «Treffer», sagte Evers lächelnd und ahmte mit den Fingern eine Pistole nach. «Das klappt einfach immer.»
    Der Platzanweiser fand das Ganze nicht komisch. «Folgen Sie mir, Sir.»
    Sie stiegen immer weiter die steilen Stufen hinab. Der Alte war in schlechterer Verfassung als Evers, voller Falten und Leberflecke, und als sie zur ersten Reihe gelangten, war Johnson schon unterwegs zur Spielerbank, weil Beckett ihn aus gemacht hatte. Evers’ Platz war als einziger unbesetzt – aber nicht völlig leer. Am Sitzrücken lehnte ein großer blauer Schaumstofffinger mit der lästerlichen Aufschrift: DIE RAYS SIND DIE NR . 1 .
    Mein Platz
, dachte Evers, und als er den anstoßerregenden Finger nahm und sich hinsetzte, sah er mit kaum merklicher Überraschung, dass er nicht mehr sein in Ehren gehaltenes Schilling-Trikot trug. Irgendwo zwischen dem Taxi und diesem lachhaften gepolsterten Captain-Kirk-Sitz war es durch ein türkisfarbenes Rays-Hemd ersetzt worden. Und obwohl er die Rückseite nicht sehen konnte, wusste er, was dort stand: MATT YOUNG 20 .
    «Der junge Matt Young», sagte er, ein Witz, den seine Sitznachbarn – von denen er keinen kannte – bewusst ignorierten. Er reckte den Hals und suchte die nähere Umgebung nach Ellie, Soupy Embree und Lennie Wheeler ab, doch ringsum saßen bloß anonyme Rays- und Sox-Fans. Er sah nicht mal die Frau mit dem Glitzertop.
    Als er sich zwischen zwei Pitches umwandte, um nach hinten zu schauen, tippte ihm der rechter Hand sitzende Mann auf den Arm und deutete gerade noch rechtzeitig auf den Großbildschirm, um ihm zu zeigen, wie sich sein grotesk vergrößertes Ebenbild gerade umdrehte.
    «Sie haben sich selbst verpasst», sagte der Mann.
    «Schon in Ordnung», sagte Evers. «In letzter Zeit war ich genug im Fernsehen.»
    Noch bevor Beckett sich zwischen seinem Fastball und seinem Slider entscheiden konnte, summte das Handy in Evers’ Tasche.
    Kann mir nicht mal in Ruhe das Spiel ansehen.
    «Hallöchen», sagte er.
    «Mit wem spreche ich?» Chuckie Kazmierskis Stimme klang schrill und trotzig, seine Ich-bin-kampfbereit-Stimme. Evers kannte diese Stimme gut, hatte sie oft gehört im Lauf der vielen Jahre, die sich zwischen der Fairlawn-Schule und diesem Platz im Tropicana Field erstreckten, wo das Licht immer trüb war und man nie die Sterne sehen konnte. «Bist du das, Dino?»
    «Wer denn sonst? Etwa Bruce Willis?» Beckett warf den Ball zu tief. Die Zuschauer bimmelten mit ihren idiotischen Kuhglocken.
    «Dino Martino, ja?»
    Mein Gott
, dachte Evers,
gleich sagt er: Wer ist auf der ersten Base, und dann sage ich: Was ist auf der Zweiten.
    «Ja, Kaz, der Künstler, der auch als Dean Patrick Evers bekannt ist. Wir haben im zweiten Schuljahr zusammen Brei gegessen, weißt du noch? Wahrscheinlich zu viel.»
    «Du bist es wirklich!», brüllte Kaz, und Evers riss das Handy vom Ohr weg. «Ich hab dem Bullen doch gleich gesagt, dass er Scheiße labert! Detective Kelly, dass ich nicht lache.»
    «Wovon zum Teufel redest du?»
    «Von so einem Pinsel, der sich als Polizist ausgegeben hat. Ich wusste, dass das nicht stimmen konnte, er klang viel zu förmlich.»
    «Haha», sagte Evers. «Ein förmlicher Beamter, stell dir das mal vor.»
    «Der Typ sagt, du bist tot, also frage ich: Wenn er tot ist, wie kann ich dann grad mit ihm telefoniert haben? Und der Bulle – der sogenannte Bulle – sagt: Ich glaube, Sie irren sich, Sir. Sie müssen mit jemand anderem telefoniert haben. Darauf
ich
: Wieso hab ich ihn dann eben im Fernsehen beim Rays-Spiel gesehen? Und dieser sogenannte Bulle sagt: Entweder war das jemand, der ihm ähnlich sieht, oder jemand, der ihm ähnlich sieht, liegt tot in seiner Wohnung. Kannst du so einen Scheiß glauben?»
    Beckett warf einen Pitch auf die Home Plate. Er war völlig von der Rolle. Die Zuschauer jubelten. «Wenn es kein Ulk war, dann hat wohl jemand einen großen Fehler gemacht.»
    «Meinste wirklich?» Kaz stieß sein übliches Lachen aus,

Weitere Kostenlose Bücher