Ein Gesicht so schön und kalt
seinem relativ erfolgreichen
Versicherungsunternehmen zurückgezogen und sah so zufrieden
aus, wie man sich das bei einem Mann in seiner Position
vorstellt. Selbst wenn er sich ausruhte, blieb sein
Gesichtsausdruck freundlich. Regelmäßiges Training hielt
seinen Körper fit. Seine zwei verheirateten Töchter lebten beide
mit ihren Familien weniger als eine halbe Stunde von ihm
entfernt. Er war jetzt seit acht Jahren mit seiner dritten Frau,
Catherine, verheiratet, und seither war ihm klargeworden, daß
seine ersten beiden Ehen manches zu wünschen übriggelassen
hatten.
Deshalb hatte er beim Läuten des Telefons auch keinerlei
Vorahnung, daß der Anrufer drauf und dran war, unangenehme
Erinnerungen wachzurufen.
Die Stimme hatte einen deutlichen Ostküsten-Akzent.
»Mr. Stevens, ich bin Joe Palumbo, ein Ermittlungsbeamter
der Staatsanwaltschaft von Bergen County, New Jersey. Ihre
Stieftochter war doch Suzanne Reardon, ist das richtig?«
»Suzanne Reardon? Ich kenne niemand, der so heißt. Warten
Sie mal«, sagte er. »Sie sprechen doch nicht etwa von Susie,
oder?«
»Haben Sie Suzanne denn so genannt?«
»Ich hatte eine Stieftocher, die wir Susie nannten, aber sie
hieß eigentlich Sue Ellen, nicht Suzanne.« Dann fiel ihm auf,
daß der Beamte die Vergangenheitsform benützt hatte: »war«.
»Ist denn etwas mit ihr passiert?«
Fast fünftausend Kilometer weit weg packte Joe Palumbo den
Hörer fester. »Sie wissen nicht, daß Suzanne, oder Susie, wie
Sie sagen, vor zehn Jahren ermordet worden ist?« Er drückte auf
die Taste, damit das Gespräch auf Band aufgenommen wurde.
»O mein Gott.« Wayne Stevens’ Stimme wich einem Flüstern.
»Nein, natürlich hab’ ich das nicht gewußt. Ich schicke ihr jedes
Jahr einen Weihnachtsgruß an die Adresse ihres Vaters, Dr.
Charles Smith, aber ich hab’ schon seit Jahren nichts mehr von
ihr gehört.«
»Wann haben Sie sie zum letztenmal gesehen?«
»Vor achtzehn Jahren, kurz nach dem Tod meiner zweiten
Frau, Jean, ihrer Mutter. Susie war immer ein verstörtes,
unglückliches und, ehrlich gesagt, schwieriges Mädchen. Ich
war verwitwet, als ihre Mutter und ich geheiratet haben. Ich
habe zwei kleine Töchter, und ich hab’ Susie adoptiert. Jean und
ich zogen die drei zusammen groß. Dann, nach Jeans Tod,
bekam Susie den Erlös einer Lebensversicherung ausgezahlt und
verkündete, daß sie jetzt nach New York zieht. Damals war sie
neunzehn. Ein paar Monate später bekam ich einen ziemlich
häßlichen Brief von ihr, in dem sie schrieb, sie wäre immer
unglücklich hier bei uns gewesen und wollte mit keinem von
uns mehr etwas zu tun haben. Sie hat erklärt, sie würde jetzt bei
ihrem richtigen Vater wohnen. Nun ja, ich hab’ sofort Dr. Smith
angerufen, aber er war unglaublich grob. Er hat zu mir gesagt, es
wäre ein schwerer Fehler gewesen, daß er mich seine Tochter
adoptieren ließ.«
»Dann hat also Suzanne, ich meine Susie, nie selber mit Ihnen
geredet?« fragte Joe rasch.
»Nie. Offenbar blieb mir nichts andres übrig, als die Sache
aufzugeben. Ich hatte die Hoffnung, daß sie sich irgendwann
doch noch besinnt. Was ist mit ihr passiert?«
»Vor zehn Jahren ist ihr Mann verurteilt worden, sie in einem
Anfall von Eifersucht getötet zu haben.«
Bilder schossen Wayne Stevens durch den Kopf. Susie als
weinerliches Kleinkind, als pummeliger, mürrischer Teenager,
der mit Golf und Tennis anfing, aber an den eigenen
Erfolgen in beiden Sportarten keine Freude zu finden schien.
Susie, wie sie dem Geschnatter bei Anrufen zuhörte, die niemals
ihr galten, wie sie ihren Stiefschwestern finstere Blicke zuwarf,
wenn sie von ihren Freunden abgeholt wurden, Susie, wie sie
die Türen zuknallte und nach oben trampelte. »Eifersucht, weil
sie etwas mit einem andern Mann hatte?« fragte er langsam.
»Ja.« Joe Palumbo hörte die Ungläubigkeit aus der Stimme
seines Gesprächspartners heraus und wußte, daß Kerrys
Intuition richtig war, als sie ihn gebeten hatte, Suzannes
Vergangenheit unter die Lupe zu nehmen. »Mr. Stevens, würden
Sie bitte mal Suzannes äußere Erscheinung beschreiben?«
»Sue war…« Stevens zögerte. »Sie war kein hübsches
Mädchen«, sagte er ruhig.
»Haben Sie Fotos von ihr, die Sie mir schicken könnten?«
fragte Palumbo. »Ich meine solche, die möglichst kurz vor der
Zeit entstanden sind, als sie wegging, um an die Ostküste zu
ziehen.«
»Selbstverständlich. Aber wenn das schon über zehn Jahre her
Weitere Kostenlose Bücher