Ein Gesicht so schön und kalt
irgendwelche Eingriffe an seiner Tochter vorgenommen.
Er ist ein Lügner, und er ist ein guter Schauspieler.
Als das aufgenommene Gespräch zu Ende war, lächelte
Palumbo voller Vorfreude. »Und was jetzt, Kerry?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte sie langsam.
»Du weißt es nicht? Smith lügt doch.«
»Das wissen wir noch nicht genau. Laß uns auf diese Fotos
von Stevens warten, bevor wir uns zu sehr reinsteigern. Viele
Teenager blühen plötzlich auf, sobald sie einen guten
Haarschnitt kriegen und in einem Schönheitssalon ordentlich
hergerichtet werden.«
Palumbo musterte sie verständnislos. »Ja, logisch. Und
Schweine können fliegen.«
48
Deidre Reardon hatte die Niedergeschlagenheit aus der
Stimme ihres Sohnes herausgehört, als sie am Sonntag und
Dienstag mit ihm sprach, und deshalb entschloß sie sich am
Mittwoch, die lange Anfahrt per Bus und Zug und wiederum
Bus zum Gefängnis von Trenton auf sich zu nehmen und ihn zu
besuchen.
Deidre, eine kleine Frau, die ihrem Sohn das feuerrote Haar,
die warmen blauen Augen und ihren keltischen Teint vererbt
hatte, sah mittlerweile so alt aus, wie sie es tatsächlich war: bald
siebzig Jahre. Ihr an sich kompakter Körper verriet erste
Zeichen von Gebrechlichkeit, und ihr Gang hatte viel von seiner
Beschwingtheit verloren. Ihre nachlassende Gesundheit hatte sie
gezwungen, ihre Stellung als Verkäuferin bei A&S aufzugeben,
und sie besserte jetzt ihre Rente mit etwas Schreibtischarbeit bei
der Kirchengemeinde auf.
Ihre Ersparnisse aus den Jahren, als Skip noch so gut
verdiente und sich so großzügig ihr gegenüber verhielt, waren
jetzt verbraucht, und zwar größtenteils für die Gerichtskosten
wegen all der erfolglosen Revisionsanträge.
Sie kam mitten am Nachmittag beim Gefängnis an. Da es ein
Werktag war, durften sie nur am Telefon und durch ein Fenster
getrennt miteinander reden. Von dem Moment an, als man Skip
hereinführte und sie seinen Gesichtsausdruck sah, wußte Deidre,
daß das eine, wovor sie Angst hatte, eingetreten war: Skip hatte
die Hoffnung aufgegeben.
Normalerweise, wenn er sehr entmutigt war, versuchte sie ihn
immer von sich selbst durch Tratsch aus der Nachbarschaft und
Gemeinde abzulenken, Klatschgeschichten von der Art, wie sie
jemandem Freude machen würden, der weg war, aber davon
ausging, bald wieder heimzukommen, und gern auf dem
laufenden bleiben wollte.
Heute war solcher Small talk nutzlos, das war ihr klar. »Skip,
was ist denn los?« fragte sie.
»Mom, Geoff hat gestern abend angerufen. Diese
Staatsanwältin, die mich neulich besucht hat - sie verfolgt die
Sache nicht weiter. Sie ist so ziemlich von mir abgerückt. Ich
hab’ Geoff dazu gebracht, die Wahrheit zu sagen und mich nicht
einzuseifen.«
»Wie hieß sie denn, Skip?« fragte Deidre mit möglichst
sachlicher Stimme. Sie kannte ihren Sohn zu gut, als daß sie ihm
jetzt mit Platitüden gekommen wäre.
»McGrath. Kerry McGrath. Offenbar soll sie bald zur
Richterin ernannt werden. Bei all dem Glück, das ich habe,
kommt sie bestimmt noch ans Berufungsgericht, damit sie dann,
wenn Geoff je eine neue Begründung für einen Revisionsantrag
findet, zur Stelle ist, um ihn abzuschmettern.«
»Vergeht nicht ziemlich viel Zeit, bis Richter ans
Berufungsgericht versetzt werden?« fragte Deidre.
»Was spielt das schon für eine Rolle? Zeit ist doch alles, was
wir haben, oder, Mom?« Dann erzählte Skip, er habe sich heute
geweigert, Beths Anruf entgegenzunehmen. »Mom, Beth muß
ihr eigenes Leben leben. Das schafft sie nie, wenn sie nichts
anderes tut, als sich um mich zu kümmern.«
»Skip, Beth liebt dich.«
»Soll sie jemand anders lieben. Hab’ ich doch auch getan,
stimmt’s?«
»Oh, Skip.« Deidre Reardon spürte den beklemmenden
Mangel an Atemluft, der stets die Taubheit in ihrem Arm und
die stechenden Schmerzen im Brustkorb ankündigte. Der Arzt
hatte sie auf die Notwendigkeit einer weiteren Bypass-Operation
vorbereitet, sollte die Angioplastie zur Gefäßerweiterung in der
folgenden Woche nicht wirken. Sie hatte Skip noch nichts davon
erzählt. Und jetzt würde sie es bestimmt nicht tun.
Deidre unterdrückte Tränen, als sie den verletzten Ausdruck
in den Augen ihres Sohnes sah. Er war immer so ein lieber
kleiner Kerl gewesen. Sie hatte nie auch nur den geringsten
Ärger mit ihm gehabt, als er heranwuchs. Sogar als Baby war er
nicht quengelig geworden, wenn er müde war. Eine ihrer
Lieblingsgeschichten über ihn war
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