Ein Gespür für Mord - Detective Daryl Simmons 1. Fall
haben eben alle unsere kleinen Schwächen.«
Daryl war klar, dass seine nächsten Fragen entscheidend waren. Wenn Ian O’Donnell bereit war, ihm zu vertrauen, würde er vielleicht etwas über Bill Murgura erfahren. Über die Vergangenheit eines Aborigines fand man nämlich nicht so leicht etwas heraus wie über die eines Weißen. Nicht dass Eingeborene nicht auch gern tratschten. Doch sie taten das garantiert nicht mit einem Weißen.
»Wie Sie sich vorstellen können«, begann Daryl vorsichtig, »bin ich aus einem ganz bestimmten Grund zu Ihnen gekommen. Ich hatte gehofft, dass Sie mir etwas über einen Eingeborenen namens Bill Murgura sagen können.«
O’Donnell sah ihm fest in die Augen. Schließlich begann er, kaum merklich zu nicken.
»Ich habe mich schon gefragt, wann der amtliche Teil unserer Plauderei beginnt. Warum sind Sie an diesem Mann interessiert?«
Daryl erklärte dem Pater ohne Umschweife, weshalb er in den Kimberleys war. Wenn die Eingeborenen dem Mann vertrauten, dann konnte er das auch. Außerdem hatte er das Gefühl, dass O’Donnell ein Mann war, bei dem man mit Ehrlichkeit und Offenheit am meisten erreichte.
Als er geendet hatte, bildeten sich die ersten Falten auf O’Donnells Stirn. »Sie glauben also, dass Murgura etwas mit der Sache zu tun hat?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich möchte lediglich etwas mehr über den Mann erfahren.«
»Tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen helfen kann. Sehen Sie, meine Aufzeichnungen über die Clans sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«
»Wie ich Ihnen bereits sagte, ist dies keine offizielle Untersuchung.«
»Noch nicht. Aber nachdem Sie jetzt wissen, dass Buttler umgebracht wurde, wird es bald zu einer offiziellen Angelegenheit. Und wir wissen ja, wie so was ausgeht. Am Ende wird die Schuld wieder einem Eingeborenen in die Schuhe geschoben. Die Statistik beweist es doch, Schwarze landen viel schneller im Gefängnis als Weiße. Vor allem in Fällen wie diesem, wo die Polizei nicht weiterkommt.«
Daryl spürte, dass er den Geistlichen nicht mit Worten allein überzeugen konnte. Ihm blieb noch eine letzte Möglichkeit.
Pater O’Donnell beobachtete verwundert, wie Daryl aufstand und sich das Hemd aufknöpfte. Als er seinen Oberkörper entblößte und die Narben der Stammeszeichen mitten auf seiner Brust sichtbar wurden, klappte der Unterkiefer des Geistlichen hinunter.
»Sie … ein weißer Polizist …«, stammelte er, »Sie tragen Stammeszeichen?« Langsam erhob er sich. Ohne den Blick von Daryls Brust zu nehmen, tastete er sich um den Tisch. Als er vor Daryl stand, streckte er zögernd die Hand aus, hielt dann aber wenige Zentimeter vor Daryls Brust inne und blickte ihm fest in die Augen. »Erlauben Sie, dass ich Ihre Narben berühre?«, fragte er mit rauer Stimme.
Daryl nickte.
Fasziniert folgten O’Donnells Finger dem Verlauf der fünf Millimeter dicken, wellenförmigen Wundmale, die sich vom Brustbein bis zum Bauch schlängelten, wo sie sich zu einem Kreis zusammenschlossen.
»Sie sind tatsächlich echt«, meinte der ehemalige Pater fast ehrfürchtig. »Das muss unglaublich schmerzhaft gewesen sein. Wird nicht, um diese typische Art der Vernarbung zu erzielen, heiße Asche in die frischen Wunden gestrichen? Auf jeden Fall: Ich weiß nicht, welchem Stamm ich sie zuordnen soll.«
»Pintubi«, half ihm Daryl.
»Pintubi«, wiederholte O’Donnell stirnrunzelnd. »Ich dachte, die Pintubi gehören zu den Stämmen, die bei der Initiation nur die Beschneidung und das Subincisio vornehmen.«
»Das stimmt«, antwortete Daryl und knöpfte sich das Hemd wieder zu. »In meiner Sippe ist das allerdings etwas anders. Die Beschneidung ist wie bei den anderen Stämmen fester Bestandteil der Initiation. Das Aufschneiden der Penisunterseite Gott sei Dank aber nicht.«
»Und was bedeuten die Zeichen auf Ihrer Brust?«
Daryl lächelte. »Das darf ich Ihnen nicht sagen. Sie sind ein Wuiei, ein uneingeweihtes Nichts, wie die Stammesältesten sagen würden.«
O’Donnell starrte noch immer auf Daryls Brust.
»Was denken Sie, können Sie mir nun vertrauen?«
O’Donnell zwinkerte ein paar Mal, als ob er gerade aus einer Hypnose erwacht wäre. Dann nickte er langsam.
»Ich denke, das kann ich.« Er ging zu einem der Bücherregale hinüber. Zielsicher zog er ein dickes, ledergebundenes Buch heraus und kehrte zum Tisch zurück. »Bill Murgura«, begann er, »gehört zum Stamm der Wunambal. Ursprünglich lebten diese im Gebiet des
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