Ein Gespür für Mord - Detective Daryl Simmons 1. Fall
willst du hin?«, rief die Köchin hinter dem Tresen hervor.
»Zu Meena. Ich muss sie sehen.«
»Das geht jetzt nicht. Sie liegt in Mr. Barrows Gästezimmer und schläft.«
»Aber ich muss unbedingt mit ihr sprechen!«
»Das kannst du auch morgen noch. Und jetzt setz dich wieder hin und iss.«
Ray Hill lief dunkelrot an. Einen Moment zögerte er, dann stürzte er zur Tür hinaus.
Mrs. Sharp setzte schnaufend ihren dicken Körper in Bewegung, um ihn aufzuhalten. Ehe sie jedoch richtig in Fahrt kommen konnte, war Daryl bereits bei der Tür. Als er sich zu ihr umdrehte, lächelte er. »Keine Bange, ich mach das schon.«
Kurz vor dem Haupthaus holte er den Jungen ein. Als er ihn an der Schulter festhielt, riss sich Ray los, blieb aber stehen.
»Nicht so hastig. Sie haben doch gehört, was Mrs. Sharp gesagt hat«, riet ihm Daryl. »Meena hat wirklich Ruhe nötig. Warten Sie bis morgen. Ich bin mir sicher, dann wird sie sich umso mehr über Ihren Besuch freuen.«
»Das kann ich nicht! Ich muss ihr unbedingt etwas sagen.«
»Was kann so wichtig sein, dass es nicht eine Nacht warten kann?«
Diesmal beherrschte sich Ray. Er schloss einige Sekunden lang die Augen. »Das kann und will ich Ihnen nicht sagen. Es geht nur Meena etwas an«, sagte er völlig ruhig.
Daryl schüttelte entschieden den Kopf. »Was Meena jetzt am dringendsten braucht, ist Ruhe. Lassen Sie sie erst einmal ausschlafen.«
»Das geht nicht! Was ich ihr zu sagen habe, ist zu wichtig. Ich muss sie einfach wecken.«
»Das werden Sie nicht. Wenn doch, werde ich Ihnen Handschellen anlegen und Sie bis morgen einsperren.«
»Handschellen?«, wiederholte Ray stockend.
In diesem Moment ging auf der Veranda des Haupthauses das Licht an, und Mr. Barrow trat nach draußen.
»Was ist hier los?«, wollte er wissen.
Daryl erklärte es ihm.
Der Viehzüchter nickte grimmig. »Meena schläft. Kommen Sie morgen, Ray.«
Einen Augenblick hatte Daryl das Gefühl, der Junge würde an Barrow vorbei ins Haus stürmen, doch dann wandte sich Ray wortlos ab und ging davon.
21
D aryl brachte Meena das Frühstück ans Bett und zog sich einen Stuhl heran. »Gut geschlafen?«
»Wie auf einer Wolke. Die Nächte auf dem harten Höhlenboden waren dagegen die reinste Folter.« Einen Augenblick sah sie ihn beschämt an, dann senkte sie den Kopf. »Danke.«
»Es war mir ein Vergnügen. Woher kannten Sie eigentlich diese Höhle?«
Meena zögerte, dann sah sie Daryl in die Augen. »Von Kurnalpi, der Clan-Ältesten unserer Sippe. Als meine Mutter den Stamm verließ, hat sie sich um mich gekümmert. Ihr Name, Kurnalpi, bedeutet Klarer Himmel , und so habe ich meine Ersatzmutter auch in Erinnerung. Sie war stets freundlich, ihr Blick für die Angelegenheiten und Probleme der weiblichen Clanmitglieder war immer ungetrübt und klar.
Einige Wochen nach meiner Initiation nahmen sie und drei weitere Frauen mich mit zu der Höhle. Wir blieben über eine Woche dort. Die Frauen erzählten mir Geschichten unserer Ahnen, die ich zuvor noch nie gehört hatte. Und sie zeigten mir, wie die Kraft der heiligen Bilder durch Übermalen erneuert wird.« Auf einmal schien Meenas Blick durch Daryl hindurchzugehen. Ihre Augen wurden feucht, und sie schien den Tränen nahe.
»Was haben Sie?«, fragte Daryl.
»Ich … ich musste gerade daran denken, dass Kurnalpi und die anderen Frauen schon vor Jahren gestorben sind und ich nun eine der wenigen bin, die die heilige Höhle und die alten Geschichten noch kennen.«
Daryl lächelte verständnisvoll. Er griff nach ihren Händen, die auf der Bettdecke lagen, und drückte sie sanft. »Sie machen sich Vorwürfe, weil Sie so selten an diesen Ort kommen und weil Sie ihn nicht so pflegen, wie das Kurnalpi und die anderen Frauen getan haben?«
Meenas Blick wurde wieder klar. »Ja … Aber woher wissen Sie das?«
»Weil ich ganz ähnlich empfinde. Auch ich fühle mich gefangen zwischen zwei Welten. Manchmal scheint es mir klar, wohin ich gehöre, wo und wie ich leben sollte. Doch dann kommen wieder Zweifel auf. Ein alter Mann aus dem Stamm der Murinbara hat einmal gesagt: Die Weißen bekamen kein Träumen. Die Weißen bekamen einen anderen Weg. Die Weißen gehen anders. Sie bekamen einen Weg, der ihnen allein gehört.«
Meena nickte ernst. »Er hat recht. Zumindest, was die meisten Weißen angeht. Sie hingegen sind anders. Sie haben ein Träumen, das spürt man. Sie sind mehr Aborigine, als ich es bin. Ich hingegen habe das Gefühl, in
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