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Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Schamgegend, bevor es bei ihm soweit war, und bekam schon sehr früh ihre Blutungen. Das war eine Zeitlang wie ein Graben zwischen ihnen, sie erwachsen, er noch ein Kind, obwohl sie zusammen im Mutterleib gewohnt hatten. Michael lächelt. »Wenn ich dich ein paar vertrauliche Dinge frage«, beginnt er, »wirst du es dann niemand erzählen? Nicht einmal Jason?«
    »War ich jemals eine Klatschtante?«
    »Ist schon gut. Ich wollte nur sichergehen.«
    Sie hört mit ihrer Arbeit auf und läßt sich ihm gegenüber erschöpft nieder. Er sieht sie an. Er überlegt sich, was sie wohl denken würde, wenn er sie jetzt nehmen wollte. Sie würde es natürlich tun, sie müßte es tun, aber würde sie es wirklich wollen? Oder wäre es ihr unbehaglich, sich ihrem Bruder hinzugeben? Sie hat es einmal gern getan. Aber das ist schon sehr lange her.
    »Hast du jemals daran gedacht, den Urbmon zu verlassen, Micaela?« fragt er.
    »Um einen anderen zu besuchen, meinst du?«
    »Nein. Nur um nach draußen zu gehen. Zum Grand Canyon. Den Pyramiden. Nach draußen. Fühlst du dich nie eingeschlossen in diesem Gebäude?«
    Ihre dunklen Augen glänzen. »Gott segne, ja. Ich fühle mich oft sehr unbehaglich. Ich habe dabei zwar noch nie an die Pyramiden oder so etwas gedacht, aber es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, daß die Wände mich erdrücken wollen.«
    »Du also auch!«
    »Wovon redest du eigentlich, Michael?«
    »Jasons Theorie. Menschen, die einige Generationen lang gezüchtet wurden, um das Dasein in den Urbmons zu ertragen. Und ich habe mir gedacht, einige von uns sind nicht so. Wir sind Rückfälle. Die falschen Gene.«
    »Rückfälle?«
    »Rückfälle, ja! Wir leben in der falschen Zeit. Wir hätten nicht in diese Zeit geboren werden sollen. Sondern damals, als die Leute noch frei waren, sich zu bewegen, umherzuziehen. Ich weiß, daß ich so empfinde, Micaela. Ich möchte nach draußen gehen. Mich einfach nur draußen herumtreiben.«
    »Das meinst du doch nicht im Ernst.«
    »Ich glaube, schon. Nicht, daß ich das unbedingt tun werde. Aber ich möchte es. Und das bedeutet, daß ich, nun ja, ein Rückfall bin. Ich gehöre nicht zu Jasons friedfertiger, angepaßter Bevölkerung. Stacion gehört dazu. Sie fühlt sich wohl hier. Eine ideale Welt. Aber nicht für mich. Und wenn es genetische Gründe hat, wenn ich wirklich nicht für diese Zivilisation tauge, dann solltest du eigentlich genauso sein. Das wollte ich herausfinden. Um mich selbst besser zu verstehen. Herausfinden, wie gut du angepaßt bist.«
    »Ich bin es nicht.«
    »Ich wußte es!«
    »Dabei will ich nicht etwa das Gebäude verlassen«, sagt Micaela. »Aber da sind andere Dinge. Gefühlsmäßige Einstellungen. Eifersucht, Ehrgeiz. Ich habe eine Menge dieser Dinge im Kopf, Michael, die nicht darin sein sollten. Und so geht es auch Jason. Wir haben erst letzte Woche eine große Auseinandersetzung darüber gehabt.« Sie kichert. »Und wir sind zum Schluß gekommen, daß wir Rückfälle sind, wir beide. Wie Barbaren aus den alten Zeiten. Ich möchte nicht in die Einzelheiten gehen, aber ja, ja, im Grunde hast du recht. Du und ich, in unserem Innern sind wir Zigeuner und keine Urbmon-Leute. Es ist nur der äußere Anstrich. Wir täuschen es nur vor.«
    »Genau! Ein äußerer Anstrich!« Michael schlägt seine Hände zusammen. »In Ordnung. Das war es, was ich wissen wollte.«
    »Du wirst doch hoffentlich nicht wirklich aus dem Gebäude gehen wollen?«
    »Wenn, dann nur ein paar Schritte. Um zu sehen, wie es draußen aussieht. Aber vergiß bitte, was ich gesagt habe.« Er nimmt die Beunruhigung in ihren Augen wahr. Er geht zu ihr hin, legt seine Arme um sie und sagt: »Versuch nicht, mich umzustimmen, Micaela. Wenn ich es tun werde, dann nur, weil ich es tun muß. Du kennst mich. Du verstehst es. Verhalte dich also ruhig, bis ich wieder zurück bin. Wenn ich überhaupt gehe.«
    Ihn plagen jetzt keine Zweifel mehr, vielmehr beschäftigen ihn nur noch nebensächliche Angelegenheiten. Ob er sich verabschieden soll zum Beispiel. Soll er gehen, ohne Stacion auch nur ein Wort zu sagen? Das wird besser sein; denn sie könnte ihn niemals verstehen, und das könnte Schwierigkeiten geben. Und Micaela. Er möchte sie eigentlich gern besuchen, bevor er geht. Ein ganz besonderer Abschied. Niemand im ganzen Gebäude steht ihm näher, und vielleicht wird er von seinem Ausflug nach draußen nicht mehr zurückkehren. Er würde sie gern noch einmal nehmen, und er vermutet, daß sie das

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