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Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Datenempfänger im Korridor und identifiziert sich selbst. Michael Statler, 70.411. Eine Passierkarte, bitte. Natürlich, Sir. Hier bitte. Aus dem Ausgabeschlitz kommt ein Armring, an dem eine kleine, blau glänzende Karte befestigt ist. Er befestigt das Ding an seinem Handgelenk. Nimmt einen Fall-Lift nach unten. Steigt in der 580. Etage aus, ohne einen besonderen Grund zu haben. Boston. Nun ja, er muß die Zeit irgendwie totschlagen. Wie ein Besucher von der Venus spaziert er durch den Korridor, begegnet gelegentlich einem ermatteten Nachtwandler, der auf dem Weg nach Hause ist. Wie es sein Privileg ihm erlaubt, öffnet er einige Türen, späht zu den Leuten hinein, von denen einige wach sind, einige nicht mehr. Ein Mädchen lädt ihn ein, die Plattform mit ihr zu teilen. Er schüttelt den Kopf. »Ich komme nur eben hier durch«, sagt er und geht weiter zum nächsten Fall-Lift. Hinab zur 375. Ebene. San Franzisko. Hier leben die Künstler. Er hört Musik. Er hat die Bewohner von San Franzisko immer bewundert. Ihr Leben hat einen Sinn. Sie haben ihre Kunst. Auch hier öffnet er einige Türen.
    »Kommt mit!« will er ihnen sagen. »Ich habe eine Passierkarte, ich gehe nach draußen! Kommt doch mit mir, kommt alle mit!« Bildhauer, Dichter, Musiker, Dramatiker. Er wird sie hinausführen wie der legendäre Rattenfänger von Hameln. Aber er ist sich nicht sicher, ob mehr als einer mit der Passierkarte aus dem Gebäude kommen könnte, und er sagt nichts. Statt dessen geht er weiter nach unten. Birmingham. Pittsburgh, wo sich Jason darum bemüht, die Vergangenheit zu retten, die längst nicht mehr gerettet werden kann. Tokio. Prag. Warschau. Reykjavik. Er trägt jetzt das ganze gewaltige Gebäude auf seinem Rücken. Tausend Ebenen, 885.000 Menschen. Ein Dutzend Kleine werden geboren, während er hier steht. Ein weiteres Dutzend werden empfangen. Ein paar sterben vielleicht. Und ein Mann entflieht. Soll er sich von dem Computer verabschieden? Seine Röhren und Spulen, seine mit Flüssigkeiten gefüllten Innereien, sein viele Tonnen schweres Gerüst. Eine Million Augen überall in der Stadt. Augen beobachten ihn, aber es ist alles in Ordnung, er darf passieren.
    Erste Ebene. Alles aussteigen.
    Es ist so einfach. Aber wo ist der Ausgang? Das da? Nur eine kleine Schleuse. Dabei hatte er eine riesige Vorhalle erwartet, mit Onyxböden, Alabastersäulen, hellen Lichtern, glänzendem Messing, und als Eingang eine riesige Glasfront. Natürlich wird dieser Ausgang nie von wichtigen Leuten benützt. Hohe Würdenträger reisen mit dem Schnellboot, das von der Plattform auf der 1000. Ebene aus startet und dort auch wieder zu landen vermag. Und die Kurierkapseln mit landwirtschaftlichen Produkten von den Farmgemeinden gelangen auf unterirdischen Transportwegen in den Urbmon. Der Ausgang in der ersten Ebene wird vielleicht nur alle paar Jahre benützt. Aber er wird es tun! Wie? Er hält seine Passierkarte hoch, hofft, daß Bildabtaster in der Nähe sind. Ja. Über der Schleuse glüht ein rotes Licht auf. Und sie öffnet sich. Öffnet sich! Er geht einige Schritte weiter, findet sich in einem langen, kühlen, schwach beleuchteten Tunnel wieder. Das Schleusentor hinter ihm schließt sich. Ja, natürlich, vermutlich soll damit eine Verseuchung durch von draußen hereinströmende Luft verhindert werden. Er wartet, bis sich vor ihm eine zweite Tür auftut, etwas quietschend. Michael kann nichts dahinter erkennen, nur Dunkelheit, aber er geht durch die Tür und bemerkt Stufen unter seinen Füßen, sieben oder acht, geht sie hinunter und kommt unerwartet zur letzten. Er stolpert fast. Steht dann auf ebenem Grund. Aber der Boden ist seltsam schwammig, seltsam nachgiebig. Erde. Sand. Schmutz. Er ist draußen.
    Er ist draußen!
    Er fühlt sich ähnlich wie der Mann, der als erster über die Mondoberfläche ging. Ein erster zaghafter Schritt ins Ungewisse. So viele ungewohnte Empfindungen, die er auf einmal verarbeiten muß. Die Schleuse hinter ihm schließt sich. Er ist jetzt auf sich allein angewiesen. Aber er hat keine Furcht. Ich muß mich immer nur auf eine Sache konzentrieren. Zuerst die Luft. Er atmet tief ein. Ja, sie schmeckt irgendwie anders, süßer, lebendiger, natürlicher; die Luft scheint sich auszudehnen, während er sie in sich einsaugt. Schon eine Minute später freilich kann er diese Veränderungen nicht mehr wahrnehmen. Er schmeckt nur noch die Luft, neutral und vertraut, wie er sie sein ganzes Leben hindurch geatmet hat. Wird

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