Ein Gott der keiner war (German Edition)
erbracht wäre, daß sich die Lebensbedingungen der Massen langsam bessern würden. Aber nicht einmal das ist der Fall. Im Gegenteil, der Augenschein zeigt deutlich, daß die schlimmsten und die verabscheuungswürdigsten Züge der kapitalistischen Gesellschaftsordnung wieder hervorzutreten beginnen. Gerade die kleinbürgerliche Mentalität, die, wie ich fürchte, immer weitere Kreise ergreift, birgt alle Elemente des Konterrevolutionären in sich, und nicht etwa jener wahrhaft revolutionäre Geist, der damals wie ein reißender Strom die brüchigen Dämme der zaristischen Welt wegschwemmte und heute in Sowjetrußland als konterrevolutionär verschrie= wird. Man möchte so gern glauben können, daß die Herzen noch immer vor Liebe überströmen oder zumindest von leidenschaftlichem Verlangen nach Gerechtigkeit erfüllt sind. Aber mit dem Ende der Revolution lösten sich alle erhabenen Gefühle in nichts auf, und die heiße Inbrunst und die Hochherzigkeit, die den ersten Revolutionären eigen waren, verloren ihre Kraft und ihren Glanz, wie ausgediente Werkzeuge, die langsam verrosten. Seit die Errungenschaften der Revolution nach außen hin gesichert sind, setzt sich im Innern der Geist der Ungerechtigkeit durch, und wer in sich den echten Rebellengeist noch brennen hat, wer alle Konzessionen, zu denen man sich hinterher verstanden hat, als feige Kompromisse ansieht, wird nicht gehört, oder gar liquidiert. Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, man unterließe die Ausflüchte und gäbe offen zu, daß der Geist der Revolution tot ist, da ja nur noch Unterwerfung und Konformismus verlangt werden? Wer es wagt, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten oder Kritik zu üben, setzt sich den schwersten Strafen aus, ganz abgesehen davon, daß man ihn sofort zum Verstummen bringt. Überall auf der neuentstandenen sozialen Stufenleiter haben die Servilsten die besten Chancen. Wer eine eigene Meinung hat, wird niedergemacht oder deportiert. Bald werden von der ganzen heldenhaften Generation von Revolutionären, die unsere Liebe und Bewunderung in so hohem Maße verdiente, nur nicht die Karrieremacher, die Henker und ihre Opfer übrigbleiben. Der kleine selbständige Arbeiter ist heute wie das Freiwild, dem Hunger preisgegeben, innerlich zerbrochen und seiner endgültigen Eliminierung gewiß. Ich bezweifle, daß es ein Land gibt, in dem Geist und Gemüt der Menschen vollständiger versklavt sein können als in der Sowjetunion. Nicht einmal in Hitler-Deutschland waren meines Erachtens Knechtschaft, Druck und Terror so ungeheuerlich wie in der Sowjetunion. Wenn in einem Staate die Opposition unterdrückt oder auch nur beschnitten wird, so ist das etwas sehr Gefährliches, etwas, das sehr leicht zum Terrorismus führen kann. Der Regierung blieben zweifellos viel Mühe und Sorge erspart, wenn alle Bürger eines Landes dasselbe dächten. Aber könnte man in einem solchen Falle noch von Kultur sprechen? Wahrhaft weise handelt nur die Regierung, die auf die Opposition hört, die gegenteilige Meinungen fördert und gleichzeitig dafür sorgt, daß sie dem Gemeinwohl nicht schaden.
Die Menschheit ist ein kompliziertes Gebilde, durchaus nicht aus einem Guß, und dem muß Rechnung getragen werden. Jeder Versuch zu vereinfachen, was von Natur problematisch ist, jedes Bemühen, lebendige Menschen zu „erfassen" und zu „organisieren", alles und alle auf den gleichen Nenner zu bringen, ist sträflich, verderblich, gefährlich und wird es immer bleiben.
Auf Künstler angewandt, richtet ein solches Verfahren noch mehr Unheil an. Ich bin der Oberzeugung, daß der wirkliche Wert eines Schriftstellers in seinem revolutionären Elan liegt oder, genauer gesagt – denn ich bin nicht töricht genug zu glauben, daß die Linke allein mit geistigen und künstlerischen Kräften gesegnet ist —, in seiner Fähigkeit zur Opposition. Ein großer Künstler ist naturgemäß ein „Nonkonformist", der immer gegen den Strom seiner Zeit schwimmen muß. Was aber geschieht in der Sowjetunion, wenn der umgewandelte Staat im Künstler jedes Bedürfnis nach Opposition abgetötet hat? Was wird aus dem Künstler, wenn es überhaupt keine Möglichkeit zur Opposition mehr gibt? Ist er dann genötigt, mit dem Strom zu schwimmen, nur weil ihm kein anderer Weg mehr offen bleibt? Solange der Kampf andauert, solange die Entscheidung noch nicht gefallen ist, führt unzweifelhaft der Künstler die Revolutionen, deren Sieg er durch persönlichen Kampf sichert Was
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