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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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zu einer großen, blühenden Stadt, in der es nicht nur Fabriken, sondern auch Bibliotheken, Erholungsstätten und Klubs gibt Mir erschien sie als eine großartige Leistung, als das edelmütigste, erfolgreichste Experiment, dessen sich die Sowjetunion rühmen kann. Erst später fand ich heraus, daß es nur Denunzianten, Verbrechern, die ihresgleichen an die Behörden verraten haben, gestattet ist, in dieser Mustersiedlung zu leben. Kann der moralische Zynismus weiter gehen?
    Der sowjetische Arbeiter ist an seine Fabrik gefesselt und der Landarbeiter an sein Kollektiv wie Yux an sein ewig rollendes, feuriges Rad. Wenn ein Arbeiter aus irgendeinem persönlichen Grunde – vielleicht weil er sich einbildet oder hofft, er könne es anderswo besser haben, oder weil er sich einfach nach einer Veränderung sehnt – daran denkt, seinen Posten aufzugeben, muß er als sorgfältig eingruppierter, organisierter Sowjetuntertan damit rechnen, daß er überhaupt keine Beschäftigung mehr findet. Verläßt er nur seine Fabrik, nicht aber die Stadt, in der er bisher gearbeitet hat, so verliert er die Wohnung, die ihm auf Grund seiner Arbeit gerade in dieser Fabrik zustand. Ferner geht ihm, wenn er seinen Arbeitsplatz verläßt, ein beträchtlicher Teil seines Lohnes verloren, und außerdem muß er auf seinen Anteil am Gewinn der Kollektivarbeit völlig verzichten. Wenn seine Vorgesetzten es andererseits für notwendig halten, ihn zu versetzen, so hat er sich dieser Anordnung widerspruchslos zu fügen. Weder darf er seinen Arbeitsplatz nach Belieben wechseln, noch darf er bleiben, wo ihn Neigung und persönliches Interesse festhalten. Gehört er nicht der Partei an, so ist er in seinem Fortkommen Parteimitgliedern gegenüber im Nachteil. Aber die Partei steht nicht allen offen, ganz abgesehen davon, daß es nicht jedem gegeben ist, zu schmeicheln, liebedienerisch und servil zu sein. Hat einer das Glück, dennoch in die Partei aufgenommen zu werden, so kann er nicht wieder austreten, ohne dabei alle Vorteile zu verlieren, die ihm seine Parteizugehörigkeit im Berufsleben eröffnet hat. Er würde das allgemeine Mißtrauen auf sich ziehen und hätte Repressalien zu gewärtigen. Warum, könnte man sich fragen, sollte jemand unter diesen Umständen der Partei den Rücken kehren wollen, die nichts als Fügsamkeit und Gehorsam von ihm verlangt. Und warum sollte sich jemand eine eigene Meinung bilden, wenn sich doch alle darüber einig sind, daß in der besten aller Welten alles zum besten steht? Wer selbständig denkt, setzt sich der Gefahr aus, als Konterrevolutionär angesehen zu werden. Ist er Parteimitglied, so droht ihm der Ausschluß, und der Rest heißt Sibirien. Diese Auszehrung der menschlichen Substanz ist um so tragischer, als sie sich unbemerkt vollzieht und gerade die Mutigsten und innerlich Freiesten betrifft, die sich aus der Masse herausheben und der totalen Gleichschaltung und Mittelmäßigkeit hindernd im Wege stehen. Mir ist, als hörte ich im Dunkeln um mich die Stimmen der vielen Deportierten, die außerstande waren, unterwürfig sich der Partei zu beugen. Die Schreie dieser zahllosen Opfer lassen mich in langen schlaflosen Nächten hochschrecken. Das ihnen aufgezwungene Schweigen zwingt mich heute zum Sprechen; im Gedenken an all die Märtyrer und ihre Leiden schreibe ich nieder, was ich zu sagen habe! Eine Anerkennung von ihnen – sofern meine Worte je in ihre Abgeschiedenheit dringen könnten – wäre wertvoller und kostbarer für mich als aller Weihrauch der Prawda . Niemand tritt in Rußland für die Unglücklichen ein, und die für Gerechtigkeit und Freiheit Verantwortlichen hüllen sich in Schweigen, während die Masse des Volkes in Unwissenheit gehalten wird. Wenn ich heute meine Stimme für die Opfer erhebe, so sagt man mir – wiederum im Namen des großen Marx —, die Deportationen, die Verelendung der Arbeiterschaft und die Abschaffung der freien Wahlen seien vorübergehende übel, die man nun einmal für die Vorteile der Revolution zeitweilig zahlen müsse. Es ist jedoch erschreckend zu sehen, wie der ganze Gewinn, der so viel menschliches Leiden gekostet hat, nach und nach zerrinnt. Es ist an der Zeit, daß allen die Augen geöffnet werden, daß alle diese tragische Fehlentwicklung erkennen, die unsere teuersten Hoffnungen zunichte gemacht hat. Man hätte sich vielleicht damit abfinden können, daß es im heutigen Rußland keine persönliche und geistige Freiheit mehr gibt, wenn wenigstens der Beweis

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