Ein Gott der keiner war (German Edition)
verhältnismäßig mit Nachsicht. Die immensen Vorteile, die man mir persönlich antrug, bestürzten und erschreckten mich – ich hatte Angst, verführt und bestochen zu werden. Ich war nicht um materieller Vorteile willen nach der Sowjetunion gegangen, und nun versuchte man mich mit fürstlichen Angeboten! Aber mein kritischer Blick blieb ungetrübt, denn ich mußte sehr bald erkennen, daß die Vorrangstellung, die der Schriftsteller in Sowjetrußland einnimmt – sie ist glänzender als irgendwo sonst auf der Welt —, nur den „Linientreuen" eingeräumt wird. Das war ein Warnungssignal für mich. Der geforderte Preis bestand in dem Verzicht auf jedwede Opposition. Und jede Kritik, frei und offen geübt, gilt in der Sowjetunion bereits als Opposition. Ich erfuhr, daß ein Gelehrter, ein bedeutendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften, eine Gefängnisstrafe hatte abbüßen müssen. Sein Verbrechen? Er hatte es gewagt, eine von der Parteilinie unabhängige Meinung zu vertreten. Während der Zeit seiner Haft unternahmen verschiedene ausländische Wissenschaftler den Versuch, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Ihnen allen wurde der Bescheid, er sei unpäßlich und könne keine Besucher empfangen. Einem anderen Gelehrten wurde die Professur entzogen und die Laboratoriumsarbeit unmöglich gemacht, weil er wissenschaftliche Ansichten geäußert hatte, die mit den sowjetischen Dogmen nicht in Einklang standen. Um der Deportation zu entgehen, war er gezwungen, in einem offenen Brief alle seine Ansichten zu widerrufen. Es ist ein typisches Merkmal des Despotismus, daß er keine Selbständigkeit dulden kann und auf absolute Servilität dringen muß. Wehe dem sowjetischen Anwalt, der es unternimmt, einen Angeklagten zu verteidigen, den die Sowjetbehörden verurteilt zu sehen wünschen! Die Sache, die er vertritt, mag noch so gerecht sein – man wird sie niemals gelten lassen. Stalin will nur Lob und Zustimmung hören, und bald wird er nur noch von Personen umgeben sein, die ihn gar nicht ins Unrecht setzen können, weil sie überhaupt keine eigene Meinung haben.
Überall sieht man Stalins Bild, sein Name ist auf aller Lippen, in allen Ansprachen, in jeder öffentlichen Rede wird ihm gehuldigt. Hat dies alles mit Liebe und Verehrung zu tun, oder steckt Furcht dahinter? Wer kann das entscheiden? Auf dem Wege nach Tiflis kamen wir durch Gori, das kleine Dorf, in dem Stalin geboren wurde. Für mein Empfinden verlangte es die Aufmerksamkeit, daß ich ihm zum Dank für den warmen Empfang, der uns in der' Sowjetunion zuteil geworden war, und für die mehr als großzügige Gastfreundschaft, die wir überall genossen hatten, eine persönliche Botschaft sandte. Ich ließ also den Wagen vor der Post halten und gab ein Telegramm auf, das folgendermaßen begann: „Im Augenblick, da unsere herrliche Reise uns nach Gori geführt hat, empfinde ich das Bedürfnis, Ihnen zu ... " Hier hielt der Übersetzer inne. Er erklärte mir, er könne eine solche Botschaft nicht weitergeben, es sei nicht schicklich, einfach „Ihnen" zu schreiben, wenn man sich an Stalin wende. Man müsse dem unbedingt noch etwas hinzufügen, etwa: „Ihnen, dem Lehrmeister der Werktätigen" oder: „Ihnen, dem Führer des Sowjetvolkes". Mir erschien das unsinnig, und ich sagte dem Mann, daß ein Mensch wie Stalin über solche Schmeicheleien erhaben sein müsse. Doch vergebens; nichts konnte den Linientreuen dazu bewegen, das Telegramm weiterzugeben, es sei denn, ich verstünde mich zu den von ihm angeregten Berichtigungen. Traurig überlegte ich, wie sehr solche Äußerlichkeiten dazu angetan waren, eine unübersteigbare Schranke zwischen Stalin und seinen Untertanen zu errichten. Häufig mußte ich auch an Vorträgen, die ich im Verlauf meiner Rußlandreise hielt, etwas ändern oder meinem Text etwas hinzufügen. Man klärte mich darüber auf, daß dem Wort „Schicksal" stets das Epitheton „ruhmreich" vorausgehen müsse, wenn damit das Schicksal der Sowjetunion gemeint sei. Andererseits wurde mir nahegelegt, das Attribut „groß` wegzulassen, wenn es sich auf einen König beziehen sollte. Ein Monarch könne niemals „groß" sein, belehrte man mich! In Leningrad sollte ich zu einer Vereinigung von Studenten und Schriftstellern sprechen, und ich unterbreitete dem Komitee vorher meinen Text. Man las ihn und teilte mir dann mit, was ich in der Ansprache zu sagen beabsichtige, sei unpassend, da es sich nicht mit der Parteilinie decke. Es ergaben sich daraus so viele
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