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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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absurde Schwierigkeiten, daß ich schließlich von der Rede Abstand nahm. Sie sollte folgenden Wortlaut haben:
„Man hat mich öfters um eine Meinungsäußerung gebeten über die gegenwärtige Literatur der UdSSR. Lassen Sie mich darlegen, warum ich mich nicht darüber habe aussprechen wollen. Dies ermöglicht mir gleichzeitig, einen Punkt der Rede zu verdeutlichen, die ich an dem ersten Tage von Gorkis Totenfeier auf dem Roten Platz verlesen habe. Ich sprach bei dieser Gelegenheit von ,neuen Problemen', die durch den Sieg der Sowjetrepubliken aufgeworfen seien – Problemen, von denen ich sagte, es sei das historische Verdienst der UdSSR, sie unserem Nachsinnen dargeboten zu haben. Da, wie ich glaube, die Zukunft der Kultur eng zusammenhängt mit der Lösung, die diese Probleme finden können, so scheint es mir nicht überflüssig, darauf zurückzukommen und sie hier etwas näher zu erläutern.
Die große Masse, selbst wenn sie sich aus den besten Elementen zusammensetzt, gibt ihren Beifall niemals den neuen, aus unbekanntem Grunde wirkenden, ketzerischen und zur Ketzerei verlockenden Bestandteilen eines Werkes, sondern nur dem, was sie wiedererkennt, das heißt: der Banalität. Ebenso, wie es bürgerliche Banalitäten gab, gibt es revolutionäre Banalitäten; dessen sollte man sich bewußt werden. Erkennen sollte man, daß Tiefe und Fortdauer eines Kunstwerkes nie auf Wesenszügen beruhen, die sich mit irgendeiner – noch so gesunden und wohlbegründeten —Doktrin decken, sondern vielmehr auf neuartigen, Zukünftiges vorwegnehmenden Rätseln und auf der Beantwortung von Fragen, die noch nicht gestellt worden sind. Ich fürchte, daß aus manchen mit reinem marxistischem Geist gesättigten (und deshalb heute sehr erfolgreichen) Werken späteren Lesern ein unerträglich klinischer Geruch entgegenströmen wird; und ich glaube, daß nur solchen Werken Dauer beschieden sein wird, die sich über das rein Zeitgebundene erheben.
Nun, da die Revolution gesiegt hat, läuft die Kunst eine schreckliche Gefahreine Gefahr, die selbst den schlimmsten Bedrüdcungen der faschistischen Systeme kaum nachsteht: die Gefahr einer Orthodoxie. Was die siegreiche Revolution dem Künstler bieten kann und soll, ist vor allem Freiheit. Ohne sie verliert die Kunst ihren Wert und ihren Sinn.
Und da die Zustimmung der Mehrheit Erfolg bedeutet, werden Lohn und Ruhm jenen Werken zufallen, die auf Anhieb verstanden und begriffen werden. Ich frage mich unruhig, ob nicht vielleicht in der glorreichen UdSSR von heute irgendwo, wenigen nur erkennbar, ein verborgener Baudelaire vegetiert oder ein Keats oder ein Rimbaud, dem es, gerade weil seine starke Individualität nicht allen zugänglich ist, schwer wird, sich Gehör zu verschaffen. Ihm vor allen gilt mein Erwarten, denn die anfänglich Mißachteten, die Rimbaud, die Keats, die Baudelaire und sogar die Stendhal – gerade sie werden sich immer wieder als die Größten erweisen.
,Aber', so mögen Sie mir vielleicht entgegenhalten, wir brauchen heute keinen Keats, Baudelaire oder Rimbaud, die uns doch nur insofern interessieren, als sie eine absterbende, korrumpierte Gesellschaft widerspiegeln, deren traurige Erzeugnisse sie selber sind. Daß sie sich in unserer Gesellschaft nicht mehr durchsetzen können, ist ihr persönliches Pech, uns soll es nur recht sein, denn wir haben von ihnen und ihresgleichen nichts mehr zu lernen. Belehren können uns nur solche Schriftsteller, die sich im neuen Staat völlig zu Hause und von eben dem Zustand, der jene anderen drückt, begeistert fühlen; mit anderen Worten: freudig ihm zustimmende Schriftsteller.'
Nun, ich glaube, daß gerade die vorbehaltlose Zustimmung den geringsten Lehr- und Kulturwert hat. Kulturfördernd wirkt nur, was zum Nachdenken zwingt.
Über das, was man die ,Spiegel-Literatur` nennen könnte, das heißt jene, die nur noch ein Reflex sein will (einer Gesellschaft, eines Ereignisses, einer Epoche), habe ich meine Ansicht schon geäußert. Sich betrachten und sich bewundern kann wohl die erste Sorge einer noch sehr jungen Gesellschaft sein; recht bedauerlich aber wäre es, wenn diese erste Sorge auch die einzige und letzte bliebe."
    Solange der Mensch unterdrückt ist, solange er getreten wird und soziale Ungerechtigkeit ihn knebelt, solange dürfen wir auf all das hoffen, was bisher nicht keimen und sprießen konnte, auf die ganze latente Fruchtbarkeit der brachliegenden Klassen. Wie wir manchmal Großes von Kindern erwarten, die sich dann zu

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