Ein Gott der keiner war (German Edition)
aber geschieht hinterher? Angst und Besorgnis erfüllen mich, wenn ich auf die Sowjetunion blicke. Schon bevor ich nach Rußland ging, war dies die eigentliche Frage, die mich beschäftigte und quält; und ich fand an Ort und Stelle keine befriedigende Antwort darauf. Was soll aus dem feinnervigen, echten Künstler werden? Ein Maler, dem ich in Rußland begegnet; sagte mir, von Subtilität und Originalität wolle man in der Sowjetunion heute nichts mehr wissen, es sei nicht das, was sie im Augenblick brauche. Eine Oper zum Beispiel sei für den Arbeiter nur dann etwas wert, wenn er beim Verlassen des Theaters ihre Melodien sofort nachpfeifen könne. Jetzt seien Werke vonnöten, erklärte dieser Mann mir mit Nachdruck, die das Publikum augenblicklich erfassen und verstehen könne. Ich hielt ihm entgegen, daß große Werke – auch wenn sie später populär wurden – noch nie auf Anhieb geschätzt und richtig gewürdigt worden seien oder doch nur den Beifall einer kleinen, erlesenen Minderheit gefunden hätten. Der Maler gab mir daraufhin zu verstehen, daß es in der Sowjetunion selbst einem Beethoven unmöglich gewesen wäre, sich nach einem anfänglichen Mißerfolg durchzusetzen. „Sehen Sie", sagte er erklärend, „bei uns hat der Künstler vor allem die Parteilinie einzuhalten, sonst gelten seine wertvollsten Werke als ‚formalistisch'. Ja, das ist das Wort, das wir gefunden haben, um all das zu bezeichnen, was wir nicht zu sehen oder zu hören wünschen. Wir wollen eine neue Kunst schaffen, würdig des großen Volkes, das wir geworden sind." Worauf ich erwiderte, daß dann aus allen Künstlern „Konformisten" werden müßten und daß die Besten und Ursprünglichsten unter ihnen sich in ihrer Kunst nie so weit erniedrigen lassen, sich nie einem solchen „Diktat" beugen würden. Und dann werde die Kultur, welche die sowjetischen Führer so gern fördern, heben, ja verherrlichen möchten, sich als wahrer Bumerang erweisen und sie der Lächerlichkeit preisgeben. Der Maler erwiderte mir darauf, ich spräche wie ein Bourgeois reinsten Wassers, er für sein Teil sei fest überzeugt, daß der Marxismus, der auf so vielen anderen Gebieten Großes vollbracht habe, auch Kunstwerke von Bedeutung hervorbringen werde. Wenn es bisher noch nicht dazu gekommen sei, so nur deshalb, weil die Künstler sich noch immer an überlebte Kunstformen klammerten. Seine Stimme wurde immer lauter und lauter, er sprach, als halte er einen Vortrag, oder als leiere er eine auswendig gelernte Lektion herunter. Ich verlor die Geduld und ließ ihn ohne ein weiteres Wort stehen. Etwas später aber erschien er zu meiner Überraschung in meinem Zimmer und bekannte, daß er im Grunde seines Herzens genau so dächte wie ich, daß er unten im Gesellschaftsraum des Hotels aber nicht offen habe sprechen können, weil wir Zuhörer gehabt hätten. Er gedenke demnächst seine Bilder auszustellen und benötige dazu die Unterstützung und Billigung der Behörden.
Als ich in der Sowjetunion eintraf, war die Kontroverse über den „Formalismus" noch im Gange. Ich bemühte mich zu erfassen, was man unter diesem Begriff verstand, und stellte fest, daß die abfällig als „formalistisch" bezeichneten Werke von Künstlern stammten, die auf die Form mehr Gewicht legten als auf den Inhalt. Ich muß hinzufügen, daß nur ein Inhalt in der Sowjetunion der Beachtung würdig befunden wird, nämlich der „richtige" – ja daß man überhaupt nur diesen einen duldet. Jede künstlerische Arbeit, die von dieser Linie abweicht, gilt als „formalistisch". Man könnte verzweifeln, wenn man sich vorstellt, daß die gesamte künstlerische Kritik in der Sowjetunion von diesem Geist beherrscht wird. Eine Sektiererei solcher Art mag einst politisch nützlich gewesen sein, aber „Kultur" kann man dies bestimmt nicht nennen. Wo nicht frei und offen Kritik geübt werden kann und darf, ist die Kultur stets gefährdet. Im heutigen Rußland wird ein Kunstwerk ohne weiteres abgetan, wenn es nicht „linientreu" ist, und Schönheit gilt als bürgerliche Verirrung. Ein Künstler mag noch so talentiert sein – wenn er sich nicht an den Parteistandpunkt hält, bleibt sein Werk unbekannt und ohne Anerkennung —, sofern er überhaupt schaffen darf. Paßt er sich der Parteilinie an, so erntet er Lob und Lohn.
Von allen Arbeitern und all denen, die ein künstlerisches Handwerk betreiben, hat es der Schriftsteller in der Sowjetunion am leichtesten. Man behandelt ihn sogar
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