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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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hat, so doch bestimmt mit einer neuen Aristokratie. Und diese Aristokratie ist keine Auslese der Klügsten und der Fähigsten, sie ist eine Herrenkaste von bienpensants , von Konformisten. Schon in der nächsten Generation kann es eine Geldaristokratie sein. Hoffentlich sind meine Befürchtungen übertrieben, ich wünsche es von Herzen.
    Als ich nach Sotschi kam, staunte ich über die vielen Sanatorien und Kurhäuser, die für die Arbeiter errichtet werden. Alle diese Hotels sind sehr komfortabel, sie haben schöne Gärten oder Parks und einen eigenen Badestrand. Es ist löblich, daß dieser an Luxus grenzende Aufwand der arbeitenden Bevölkerung zugute kommen soll. Leider aber hat fast immer nur die neue bevorrechtete Schida den Genuß davon. Wohl werden diejenigen, die Ruhe oder Behandlung nötig haben, zuerst berücksichtigt, aber in allen Fällen ist die Übereinstimmung mit der Partei ausschlaggebend. Und wenn man dann die jammervoll bezahlten und erbärmlich untergebrachten Arbeiter sieht, die diese eleganten Häuser bauen müssen, blutet einem das Herz.
    Was soll ich über das Hotel in Sinopi – unweit Sukkhum – sagen, wenn mir schon die Kurhäuser in Sotschi so großen Eindruck gemacht haben! Das Sinopi-Hotel läßt sich nur mit den komfortabelsten, luxuriösesten Häusern des Auslandes vergleichen. Jedes Zimmer hat ein eigenes Bad und einen Balkon, die Möbel sind erstklassig, und die Küche kann mit dem Besten, was es auf diesem Gebiet in der Welt gibt, konkurrieren. Ein in der Nähe gelegenes Mustergut versorgt das Hotel mit allem Nötigen. Die Pferdeboxen, die Kuhställe, die Schweinekoben des Gutes sind sehenswert. Der riesige Hühnerstall ist mit den modernsten Vorrichtungen ausgestattet. Aber unmittelbar jenseits des Flusses, der das Gut begrenzt, trifft man auf eine Reihe elender Hütten, in denen auf winzig kleinem Raum jeweils vier Menschen hausen. Die Miete beträgt pro Person zwei Rubel im Monat.
    Die schon so lange angekündigte Diktatur des Proletariats ist noch immer nicht Wirklichkeit geworden. Statt ihrer herrscht die Diktatur der sowjetischen Bürokratie. Man muß das klar erkennen, man darf sich nicht täuschen lassen. Diese Gewaltherrschaft ist nicht das, was man erhofft hat. Ja, man muß laut und vernehmlich sagen: sie ist das Letzte, was man erwartet und ersehnt hätte. Die Arbeiter haben heute nicht einmal mehr die Freiheit, sich ihre eigenen Vertreter zu wählen, die ihre bedrohten Interessen verteidigen könnten. Es gibt keine freien Wahlen in Sowjetrußland – weder öffentliche noch geheime; allein davon zu sprechen, wäre Hohn. Die Wähler haben lediglich das Recht, diejenigen zu „wählen", die man zuvor für sie ausgesucht hat.
    Der Arbeiter wird nach allen Regeln der Kunst betrogen, man verbietet ihm den Mund, er ist an Händen und Füßen gefesselt, so daß ein Widerstand nahezu unmöglich geworden ist Stalin hat sein Spiel meisterhaft verstanden, und überall in der Welt klatschen ihm die Kommunisten Beifall zu, weil sie wenigstens in der Sowjetunion einen glänzenden Sieg errungen zu haben meinen. Wer mit ihnen nicht übereinstimmt, wird als „Staatsfeind" und „Verräter" abgestempelt. In Rußland hat das zu einer Perfidie besonderer Art geführt. Wer vorankommen will, verlegt sich ganz einfach aufs Denunzieren. Damit gewinnt man die gefährliche Polizei für sich, die den Angeber unter ihre Fittiche nimmt, solange sie seine Dienste braucht Wer diesen bequemen Weg erst einmal beschritten hat, den hält bald weder Freundschaft noch Anstand zurück. Jede Gelegenheit treibt ihn weiter auf der abschüssigen Bahn, dem Abgrund der Schande entgegen. Die Folge ist, daß jeder jedem mißtraut. Die unschuldigsten Bemerkungen – sogar aus Kindermund – können Tod und Vernichtung nach sich ziehen, und so ist jeder ängstlich auf seiner Hut, keiner läßt sich gehen.
    Auf meiner Reise durch Sowjetrußland wurde ich auch nach der Musterstadt Bolschewo geführt. Sie ist insofern einzig in ihrer Art, als dort nur Verbrecher leben – Einbrecher, Taschendiebe und Mörder. 13olschewo war anfangs nur eine kleine Sträflingssiedlung, die man in der Überzeugung gegründet hatte, daß Verbrecher lediglich kranke Menschen, seelisch verbildete Neurotiker seien, die man bei richtiger Behandlung, durch mitfühlende Güte und dadurch, daß man ihnen ein normales Leben ermöglicht, heilen und zu brauchbaren, zufriedenen Bürgern machen könne. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Siedlung

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