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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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recht durchschnittlichen, sehr mittelmäßigen Geschöpfen auswachsen, so geben wir uns oft der Täuschung hin, die große Masse konstituiere sich aus Individuen, die von feinerem Stoff seien als der enttäuschende Rest der Menschheit. Ich für mein Teil glaube, daß sie lediglich weniger verdorben und weniger dekadent sind als die anderen. Ich sehe schon eine neue Bourgeoisie sich aus diesen unerprobten sowjetischen Massen entwickeln, eine Bourgeoisie mit den gleichen Mängeln und Lastern, wie sie die unsere aufweist. Kaum haben sie selbst die Armutsgrenze hinter sich gelassen, fangen sie an, die Armen zu verachten. Sie schielen neidisch nach den Gütern, die sie so lange entbehren mußten, und trachten mit aller Gewalt danach, in ihren Besitz zu gelangen. Sie lernen sehr bald, wie man sie erwirbt und sich erhält. Sind das wirklich die Menschen, welche die Revolution gemacht haben? Nein! Es sind Elemente, welche die Revolution ihren eigenen selbstsüchtigen Zwecken nutzbar gemacht haben. Sie mögen immer der Kommunistischen Partei angehören – im Herzen sind sie längst keine Kommunisten mehr. Ich mache der Sowjetunion keinen Vorwurf daraus, daß sie nicht mehr erreicht hat – ich sehe ein, daß in der kurzen Zeit nicht mehr und nichts Besseres geleistet werden konnte, das Land mußte sich aus allzu großer Tiefe emporarbeiten. Meine Anklage gilt der böswilligen Täuschung, deren sie sich schuldig gemacht hat, der prahlerischen Behauptung, die gegenwärtigen Verhältnisse im sowjetischen Staate seien das, was man sich ersehnt habe und um was man von der ganzen Welt beneidet werde. Daß ich einen solchen Betrug von dem Lande, dem mein ganzes Vertrauen, all meine Hoffnung galt, erleben mußte, ist eine sehr schmerzliche Erfahrung für mich.
    Ich zeihe die französischen Kommunisten ebenso wie die der anderen Länder der Mitschuld, weil sie – ausgenommen die, welche guten Glaubens waren und sich selbst täuschen ließen – wider besseres Wissen, oder obgleich sie es besser hätten wissen müssen, die Arbeiter des Auslandes aus politischen Erwägungen belogen haben. Es ist hohe Zeit, daß alle Arbeiter außerhalb der Sowjetunion erkennen, wie die Kommunistische Partei sie hinter. Licht und in die Irre geführt hat, genau wie vor ihnen die russischen Arbeiter getäuscht und betrogen wurden.
    So jammervoll und unbefriedigend die Situation in der Sowjetunion ist – ich hätte geschwiegen, wenn ich irgendeinen Anhaltspunkt dafür gefunden hätte, daß die Dinge sich doch noch zum Besseren entwickeln könnten. Ich halte es für meine Pflicht zu sprechen, weil ich zu der unumstößlichen Überzeugung gekommen bin, daß die Sowjetunion unaufhaltsam die schiefe Ebene hinunter in den Abgrund gleitet. Weil sie von den Freiheiten, die unter unsäglichen Mühen und Leiden und mit so viel Blutvergießen durch die große Revolution erkämpft worden sind, eine nach der anderen preisgegeben hat – immer unter Vorgabe scheinbar zwingender Gründe. Ich spreche, weil ich erkenne, daß die Sowjetunion auch die kommunistischen Parteien anderer Länder in das endgültige Chaos mit hineinreißt.
    Nichts kann mich davon abhalten, offen auszusprechen, was ich denke. Mir gilt die Wahrheit mehr als die Partei. Ich weiß sehr wohl, daß es in der marxistischen Doktrin so etwas wie eine absolute Wahrheit nicht gibt, daß sie nur eine relative Wahrheit kennt. Aber ich halte es für ein Verbrechen, andere Menschen irrezuführen, wenn es sich um eine so schwerwiegende Angelegenheit handelt. Man muß die Dinge sehen, wie sie sind, nicht wie man sie sich in Wunschträumen ausmalt. Die Sowjetunion hat unsere teuersten Hoffnungen enttäuscht; sie hat uns gezeigt, wie eine ehrliche Revolution von trügerischem Flugsand zugeschüttet werden kann. Die gleiche alte kapitalistische Gesellschaft hat sich rekonstituiert, ein neuer, furchtbarer Despotismus erdrückt den Menschen und beutet ihn aus, die ganze niedrige, verächtliche Mentalität, die für das Verhältnis zwischen Sklavenhaltern und Sklaven typisch ist, ist wiederauferstanden. Wie Demophon konnte Rußland nicht zum Gott werden; es hat versagt und wird nun für immer auf dem sowjetischen Kohlenbett liegenbleiben müssen.

LOUIS FISCHER
     
     
     
     
     
    Vor dem ersten Weltkrieg hatte ich als junger Mann in Philadelphia ein geistig verworrenes Bild von Rußland. Ich hatte weder dieses noch irgendein anderes fremdes Land zu sehen bekommen, aber ich kannte viele der großen Romane von Leo

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