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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Theatern von Frauen ohne Männer besetzt, von Frauen, die entweder ihre Männer in den Gräben verloren oder niemals Männer gehabt hatten und von nun an keine Männer mehr haben würden, weil die Männer, die die ihrigen hätten sein können, unter den Mohnfeldern in Frankreich und Flandern lagen ... Maxim Gorki sandte einen Aufruf an die Welt, eiligst Nahrungsmittel für fünfundzwanzig Millionen hungernde Russen zu schicken... Im Januar 1922 schrieb ich von Polen aus über die „Krise, die niemanden verschont", und über die starke Zunahme eines chauvinistischen Nationalismus. Obwohl es von tausenderlei innerpolitischen Nöten bedrängt war, unterhielt Polen nichtsdestoweniger eine geldverschlingende Armee und bestand darauf, Wilna zu annektieren. ... Ich verbrachte einen Teil des nächsten Monats in Osterreich. „Wien", so schrieb ich der „New York Post" am 1. März 1922, „bekannt für seinen Frohsinn und sein vergnügtes Nachtleben, wird grauenerregend, sobald es dunkel wird. Es herrscht eine eigenartige Abgestumpftheit und Reglosigkeit. Die Straßen sind nur schwach beleuchtet. Doch in der Gegend der eleganten Cafés, in der Nähe der Oper und der teuren Theater, in der Nachbarschaft hochmoderner Hotels ist Licht und Leben, sind hupende Taxis, Tanz, Musik, viel Wein und gutangezogene Leute." Zahlreiche Spiegelglas-Schaufenster in Banken, Geschäften, Restaurants und Hotels waren im Laufe von kürzlich ausgebrochenen Unruhen der Bevölkerung gegen die Schieber eingeschlagen worden.
    Deutschland, dessen Größe, Bodenschätze und zentrale Lage ihm in den verschiedenen Zeitabschnitten die Möglichkeit gegeben hatte, weite Gebiete von Europa zu vergiften, in Furcht zu halten oder zu beleben und zu kräftigen, lebte unter einem dauernden Alpdruck von monarchistisch-republikanischer Auseinandersetzung und Inflation.
    Auf der internationalen Konferenz in Genua im April 1922 stießen die westlichen Sieger durch ihre Unfähigkeit zu vergessen, zu vergeben oder sich zu einigen, Rußland, den revolutionären Paria, und Deutschland, den Kriegsparia, in einen diplomatisch-wirtschaftlichen Pakt; die Ausgestoßenen kamen überein, sich gegenseitig illegal aufzurüsten.
    Noch betäubt und triefend vom Blut des ersten Weltkrieges wankte Europa bereits blindlings auf einen zweiten zu, indessen seine Staatsbürger und Politiker bestenfalls in hilfloser Verzweiflung die Hände rangen.
    In der Zwischenzeit hörte und las ich unentwegt weiter von Sowjetrußland. Die Bolschewisten verherrlichten den einfachen Mann und boten ihm Land, Brot, Frieden, Arbeit, ein Haus, Sicherheit, Erziehung, Gesundheit, Kunst und glückliches Leben an. Sie traten für die internationale Verbrüderung des werktätigen Mannes ein. Sie wollten die Rassendiskriminierung aufheben, die Ausbeutung beseitigen, ebenso wie die Ungleichheit, die Macht der Reichen, die Vorrechte der Könige und die Eroberungssucht. Sie befreiten voller Stolz Polen, Finnland und die baltischen Länder von der russischen Herrschaft. Sie verzichteten auf die Sonderrechte des Zaren in China und seine Einflußsphären – einschließlich der dazugehörigen Ölkonzession – in Persien. Die Unterdrückten in der Welt und die Freunde der Unterdrückten erblickten infolgedessen in den Sowjets die Herolde einer neuen geschichtlichen Epoche.
    Ein Staat, der ein Sechstel der Erdoberfläche umfaßte, hatte die Rolle des Redners, der am Sonntagnachmittag von einer Seifenkiste herunter zum Volk spricht, übernommen und redete in seiner Sprache. Zum. ersten Male wagte sich eine Regierung daran, die Träume der Reformatoren, Bilderstürmer und Vorkämpfer aller Zeiten zu erfüllen. Ein Glücksschauer durchfuhr die Menschheit. Furcht ergriff alle diejenigen, die alte Vorrechte, Tradition, Militarismus, Imperialismus und die Vorherrschaft der weißen Rasse sowie den status quo beibehalten wollten; ihre Befürchtungen spornten die Hoffnung bei den anderen an.
    Die Einmaligkeit des Appells der bolschewistischen Revolution lag in ihrer Universalität. Ihr Vorschlag ging nicht nur dahin, eine gewisse Anzahl von drastischen Veränderungen in Rußland einzuführen. Sie hatte zum Ziel, in der ganzen Welt den Krieg, die Armut und das Leiden abzuschaffen. Daher hatten in allen Ländern die kleinen Leute, Arbeiter und Intellektuellen das Gefühl, daß in ihrem Leben sich etwas Wichtiges ereignet habe, als die Revolution in Rußland Wurzeln faßte. In Wirklichkeit entsprang diese allgemeine Zustimmung

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