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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Opfer auf sich zu nehmen. Noch immer litten weite Gebiete des Landes unter würgender Hungersnot; eine Mahlzeit kostete Billionen von Rubeln; Rußlands Inflation war sogar schlimmer als die Deutschlands. Die vererbte, durch den Weltkrieg, den Bürgerkrieg und revolutionäre Verwüstungen noch schlimmer gewordene Armut erschütterte mich; das Regime und seine Anhänger bekundeten weder Pessimismus noch Müdigkeit.
    Die Begeisterung war ansteckend. Warum sollten ausländische Regierungen und ausländische Diplomaten und Korrespondenten in Moskau Obstruktion treiben und die Anstrengungen einer großen Nation, sich selber aus dem Dreck zu ziehen, verhöhnen? Da ich selber in Armut geboren und aufgewachsen war, hieß ich instinktiv jede Bestrebung willkommen, sie auszurotten. Die bolschewistische Einziehung des Privatvermögens und die Verstaatlichung des Grundbesitzes nahmen mich nicht gegen ihn ein. Die Revolution brach vollkommen mit der Vergangenheit. Das war Hauptanziehungsmoment. Die Vergangenheit war schwarz. Die Sowjets tappten von nun an im Dunkeln in einem kartographisch nicht erfaßten Gebiet auf ein unbestimmtes Etwas zu, das vordem noch nie gesehen oder nur flüchtig skizziert worden war. Ich bewunderte ihren Mut. Niemand konnte an ihrer Ernsthaftigkeit zweifeln. An der Spitze der Liste kommunistischer Tugenden stand der Internationalismus. Nationale Grenzen sind oft die Folge von Raubüberfällen und Aggression. Der Nationalismus, der Ausgangspunkt der Kriege, wirtschaftlichen Rivalitäten und Haßgefühle ist eine Abwandlung des Rassenbewußtseins. Die Bolschewisten indessen betrachteten alle Rassen trotz ihrer Verschiedenheit als gleichwertig. über hundert Volksstämme wohnten in der Sowjetunion; die Fortgeschritteneren unterschieden sich zugunsten derjenigen, die durch geschichtliche oder geographische Zufälle benachteiligt waren. Im Ausland anerkannte der Bolschewismus nationale Aufteilungen, suchte aber eine internationale kommunistische Gesellschaft zu schaffen, die über ihnen stehen und hierdurch einen dauernden Weltfrieden schaffen sollte.
    Beinahe sämtliche Nationen waren dem neuen Rußland gegenüber feindlich, voreingenommen und unfair gewesen. Das Einziehen toter Schulden, die Rückerstattung von verstaatlichtem Vermögen und verärgerte Verlautbarungen aus ideologischer Animosität schienen der kapitalistischen Diplomatie dringlicher zu sein als die Herstellung normaler wirtschaftlicher und politischer Beziehungen, die einen wirklichen Frieden und eine wirkliche Gesundung beschleunigt haben würden.
    Wenn ich mit sowjetischen Freunden sprach, dann pflegte man bolschewistische Dummheiten und unreife Zustände zu verurteilen; doch auf Reisen nach Europa und Amerika fand ich die Menschen in zwei gegnerische Lager gruppiert, von denen das eine prosowjetisch, das andere antisowjetisch war, und ich konnte mich einfach nicht dem letzteren anschließen. Rußlands grundlegende Bestrebungen gewannen für mich noch an Anziehungskraft, nachdem ich einen Blick in die langweilige Gleichförmigkeit der Harding-Coolidge-Ara in USA und die Ziellosigkeit Europas getan hatte. In Italien war die schwankende Demokratie bereits dem Faschismus Mussolinis erlegen. Die deutschen Sozialisten hatten eine einmalige Nachkriegsgelegenheit verpfuscht, die ehemaligen und mächtigen Kriegstreiber unschädlich zu machen: nämlich die Junker, die Militaristen und die Monopolindustriellen. Diese geschichtlich fehlerhafte Mäßigung verschloß meinen Verstand gegenüber der leidenschaftlichen sozialdemokratischen Kritik an den Bolschewisten, die wirklich Rußlands politische und wirtschaftliche Royalisten liquidierten. Dies machte es mir auch schwer, die Sozialdemokratie als einen Gegensatz zum Kapitalismus zu sehen.
    Es dauerte nicht lange, bis ich mir darüber klar wurde, daß meine Wahl getroffen war. Eine Wahl hängt von der dazugehörigen Alternative ab. Ich gab frischen, reinigenden Winden den Vorzug gegenüber abgestandener schaler Luft und zog gutgesinnte Vorkämpfer erwiesenen Versagern vor. Ich hatte die Sowjets gern, weil sie einen Versuch darstellten, im Interesse der Wohlfahrt der niedergetretenen Majorität zu handeln, denn sie zerstörten die Vorrechte der wenigen Mächtigen, weil sie schwach waren und weil sich ihnen die Konservativen und Reaktionäre der Welt entgegenstellten. Alle diese Vorlieben und Sympathien entstanden aus einer natürlichen Empfänglichkeit, die aus mir fast unmerklich bald einen

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