Ein Gott der keiner war (German Edition)
von einer privaten Gruppe. Ein kluger
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Führer übt Zurückhaltung, sowohl in der Art, wie er Macht anhäuft, als auch in der Art, wie er sie anwendet.
Nach dem Kronstadt-Erlebnis sollte der ehemalige Kommunist oder ehemalige Vorkämpfer für Sowjetrußland sich in die Linie derer einreihen, die für volle Freiheit für Andersdenkende kämpfen, für volle Freiheit für andersgläubige Religionen, andere Rassen, Erscheinungsformen, Namen usw. Das höchste Kennzeichen für Kultur ist die Fähigkeit, mit Leuten in Frieden zu leben, die anders geartet sind wie wir selber; das Gegenteil davon sind Stumpfsinn und Diktatur.
Nach dem Kronstadt-Erlebnis sollten die ehemaligen Anhänger Sowjetrußlands einen Internationalismus unterstützen, der jeden Nationalismus ausschließt. In der Theorie und vielleicht auch in der Praxis kann es möglich sein, daß eines Tages der Nationalismus nicht in Konflikt mit dem Internationalismus gerät. Jedoch verhindert die Vorstellung, daß ein einziges Land eine Festung der Sicherheit oder des Kapitalismus oder des Sozialismus oder ein Muster der Tugend ist, in Wirklichkeit das Wachsen eines internationalen Gefühles. Wenn die Zunge Weltregierung predigt, indessen das Herz militärische Unternehmungen und materielle Erfolge für die eigene Nation plant, so könnte die Zunge ebensogut schweigen. Der Verfechter des Rassen- und Isolationsgedankens, der Mensch, der ein anderes Volk haßt, sei es nun ein Feind, ein ehemaliger Feind oder ein möglicher Feind, ist kein Vertreter des internationalen Gedankens und vertritt die Weltregierung nur auf dem Papier. Schließlich und endlich kann keine Nation sich an Erfolgen freuen, an denen die anderen keinen Anteil haben. Es gibt keinen wirklichen Frieden und kein wirkliches Glück, solange der Nachbar auf der gleichen Straße oder in zehntausend Meilen Entfernung leidet.
Nach dem Kronstadt-Erlebnis sollte derjenige, der sowohl das Übel der Diktatur wie das Übel innerhalb der Demokratie verwirft, vor allem sich um den Menschen kümmern. Sämtliche Ziele – nationale Unabhängigkeit, Internationalismus, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Fortschritt, nationale Sicherheit, Erhaltung durch Kapitalismus, Errichtung des Sozialismus usw., sind als abstrakte Begriffe nichts. Sie bedeuten nur etwas in Verbindung mit den Interessen lebendiger Männer, Frauen und Kinder, die die Mittel und Wege darstellen, durch welche alles auf Erden erreicht wird. Bei dem eigenen Eifer für eine Sache ist es möglich, sie zu vergessen oder anzunehmen, daß sie ja warten könnten, oder sich vorzustellen, daß sie keine Rolle spielen. Wenn man von einem Ideal absorbiert wird, so ist es möglich, daß man sich vorstellt, eine Generation könne zum Besten ihrer Nachkommen geopfert werden. Doch dieses Aufopfern von Menschen kann eine Gewohnheit werden bis in die zweite und dritte Generation. Ich glaubte, in der Zeit, in der ich sowjetisch eingestellt war, daß ich der Menschheit diente. Aber erst nach dem habe ich wirklich den Menschen entdeckt. Er ist Mittel und Ziel.
STEPHEN SPENDER
Im Winter 1936-1937 war ich einige Wochen lang Mitglied der britischen Kommunistischen Partei. Meine Mitgliedschaft erlosch bald nach meinem Eintritt. Ich wurde nie aufgefordert, mich der Zelle in Hammersmith, wo ich wohnte, anzuschließen; auch zahlte ich keinerlei Beiträge, nachdem ich meinen Aufnahmebeitrag gezahlt hatte.
Kurz bevor ich eintrat, hatte ich das Buch "Forward from Liberalism" (Fort vom Liberalismus) veröffentlicht, welches vom Left Book Club als Buch des Monats ausgewählt wurde. In diesem Buch vertrat ich die These, daß' in der liberalen Auffassung von der Freiheit des Individuums ein Bruch sei. Die Liberalen sprächen und schrieben manchmal so, als glaubten sie an das Recht der unbegrenzten Freiheit des Individuums, andere Individuen ausbeuten zu dürfen; dann wiederum, als glaubten sie an die Freiheit aller unter Gleichberechtigten. Ich vertrat die These, daß die Liberalen im neunzehnten Jahrhundert imstande waren, während der Zeit der Expansion des britischen Handels das Streben nach freiem Wettbewerb für die Unternehmer gleichzeitig mit dem Streben nach Reformen für die Arbeiter zu verbinden, ohne daß dadurch der Widerspruch ihrer Stellungnahme sichtbar wurde. Doch könnten die Liberalen in den Jahren nach 1930 in einer Nachkriegswelt, in der die Depression, Schutzzölle und Arbeitslosigkeit herrschten und in Europa faschistische
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