Ein Gott der keiner war (German Edition)
Bewegungen heranwuchsen, nicht für eine unbegrenzte Freiheit der Arbeitgeber ebenso wie der Arbeitnehmer eintreten. Sie müßten ihre Auffassung von der Freiheit auf sozialer Gerechtigkeit aufbauen, die die Ausbeutung einschränke. Ich machte den Vorschlag, die Liberalen sollten die Arbeitnehmer unterstützen, die Notwendigkeit anerkennen, den Faschismus zu bekämpfen, und gleichzeitig die individuelle Freiheit zur freien Meinungsäußerung verteidigen, worunter ich die Redefreiheit und das Habeas-Corpus-Recht verstand.
Die Aufgabe der Liberalen müsse darin bestehen, die persönliche Freiheit mit den Interessen zu verbinden, die gegen den Faschismus waren und gleichzeitig die Mittel und Wege ins Auge fassen, die notwendig sein könnten, um Macht zu gewinnen. Kurzum, sie müßten die Sache der Freiheit auf die Seite der sozialen Gerechtigkeit bringen. Sie sollten die persönliche Freiheit von den Interessen des Kapitalisten auf diejenigen des Arbeiters verpflanzen.
Mein Buch wurde viel diskutiert. Unter denen, die an mich schrieben, befand sich Mr. Harry Pollitt. Er lud mich ein, ihn aufzusuchen, und ich begab mich eines Nachmittags in die schmutzigen Büroräume der Kommunistischen Partei in der Nähe von Charing Cross Road. Mr. Pollitts Benehmen war warmherzig, vertraueneinflößend und freimütig. Er war klein, hatte eine frische rote Gesichtsfarbe und braune Augen unter borstigen, dichten Augenbrauen, die mich an Georges Robey erinnerten. Er ergriff meine Hand und sagte sofort: „Ihr Buch interessierte mich. Was mir daran auffiel, war die unterschiedliche Art, in der Sie und ich uns dem Kommunismus genähert haben. Ihre Art ist eine rein intellektuelle. Ich wurde Kommunist, weil ich in meinem eigenen Heim mit eigenen Augen die Verbrechen des Kapitalismus erlebte. Ich mußte mitansehen, wie meine Mutter in eine Fabrik zur Arbeit ging und durch die Zustände, unter denen sie dort arbeiten mußte, umgebracht wurde."
Ein weiterer Unterschied zwischen uns beiden sei, so sagte er, daß ich keinen Haß zeige. Er glaubte, daß der Haß auf den Kapitalismus die gefühlsmäßige Triebkraft der Bewegung der Arbeiterklasse sei.
Er wandte sich gegen die Kritik meines Buches an den Moskauer Prozessen, gegen Bucharin und die übrigen. Ich sagte, ich sei nicht überzeugt davon, daß die Angeklagten in irgendeinem Punkte schuldig seien, abgesehen davon, daß sie gegen Stalin opponierten. Er widersprach heftig und schien es für ein Glück zu halten, daß man ihnen überhaupt ein Verfahren gewährt hatte. Dann wies er darauf hin, daß wir vielleicht über die Moskauer Prozesse entgegengesetzter Ansicht seien, daß wir aber nichtsdestoweniger über das Eingreifen, mit dem die Kommunisten die spanische Republik unterstützten, einer Meinung seien. Er hatte mir einen Vorschlag zu machen. Dieser ging dahin, daß wir übereinkämen, verschiedener Meinung zu sein, aber daß ich mich trotzdem den Kommunisten anschließen solle, um sie in der Spanienfrage zu unterstützen. Ich könnte zum gleichen Zeitpunkt, an dem ich in die Partei einträte, im „Daily Worker" einen Artikel schreiben, in dem ich die Kommunisten kritisierte.
Dieses Angebot nahm ich an. Ich erhielt eine Mitgliedskarte, und mein Artikel erschien. Der Artikel versetzte die Kommunisten in Schottland und Nordengland in Wut, und meine Parteimitgliedschaft geriet schnell in Vergessenheit.
Wenn auch Pollitt recht gehabt hatte mit seiner Bemerkung, daß meine Gründe, ein Kommunist zu werden, nicht die eines Arbeiters waren, so waren es doch eine ganze Reihe von Begebenheiten, die mich dazu geführt hatten, einen Kompromiß mit der Partei zu versuchen.
Diese reichen bis in meine Kindheit zurück. Was mich in den Evangelien am meisten beeindruckt hatte, war der Satz, daß alle Menschen vor den Augen Gottes gleich sind, und daß die Reichtümer der wenigen ein Unrecht an den vielen sind. Mein Sinn für die Gleichheit der Menschen gründete sich nicht so sehr auf ein bewußtes Erkennen der Massen, als auf der Erkenntnis der Einsamkeit. Ich kann mich darauf besinnen, daß ich nachts wach lag und über diesen menschlichen Zustand nachdachte, in den jeder Lebende, ohne gefragt zu werden, auf Erden hineingeworfen wird, wo er in sein eigenes Wesen eingeschlossen ist, für den Rest der Menschheit ein Fremdling bleibt, der Liebe braucht und seinen eigenen Tod vor Augen hat. Da die Tatsache des Geborenwerdens gleichbedeutend mit dem Schicksal eines Robinson Crusoe ist, der von der
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