Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
Vom Netzwerk:
aufgeblasen erklärte er, daß seine einfache Soldatenuniform ein typisches Beispiel für die Improvisation auf der republikanischen Seite wäre, da er in Wirklichkeit eigentlich wie ein Offizier von hohem Rang gekleidet sein müßte. Der Schriftsteller-Kommissar hatte die Angewohnheit, den Schriftstellerinnen, dem Dichter und mir in unserem Hotelzimmer kleine Vorträge zu halten, mit denen er den Hintergrund des Krieges erklärte. Das Hauptthema seiner Gespräche war immer das gleiche, nämlich: die Kommunisten träten für Einigkeit in den Reihen der verschieden gearteten Anhänger der Regierung und in der Armee und der Internationalen Brigade ein, und so oft sie die anderen Parteien überredet hätten, sich zu einigen, leiteten und beherrschten sie dann, wenn sie konnten, die geeinten Kräfte. Wenn sie sich in einigen Fällen zurückhielten, ehe sie die Herrschaft gewannen, dann geschähe dies nur aus strategischen Gründen.
    Protestierte man dagegen, wie ich dies manchmal vergeblich tat, indem ich sagte, daß diese Art von Einheit keine Einheit wäre, sondern ein Betrug an den anderen Parteien, so bewirkte dies einen hoffnungslos vorwurfsvollen Blick von der selbstlosen Schriftstellerin. Vielleicht versuchte auch der Schriftsteller-Kommissar mir zum hundertsten Male meine Unfähigkeit, klar zu denken, auseinanderzusetzen. Was ich hätte denken sollen, sah ungefähr so aus: Historisch gesehen, gäbe es keine wirkliche Einstellung außer der kommunistischen. Wenn also die Kommunisten von Einheit reden, so meinen sie damit, daß sie verschiedene abirrende Gruppen vereinen und ihnen die genaue Linie historischer Entwicklung aufzeigen wollen. Um dies fertigzubringen, betonen sie besonders, daß sie die Partei der Demokratie seien, die das Verlangen hat, alle fortschrittlichen Kräfte zu einigen. Wenn man trotzdem sage, daß die Kommunisten, wenn sie so handelten, einen Verrat von innen an den übrigen Parteien begingen, so argumentiere man als Faschist. Die Kommunisten selber glaubten wirklich daran, daß sie eine Volksfront schüfen, und wenn man etwas anderes denke, so sei man eben einfach ein schlechter Kommunist. Das Argument des Schriftsteller-Kommissars war ein Beispiel dessen, was George Orwell in seinem Roman 1984 das „Zwiedenken" nennt. Ein anderes Beispiel von „Zwiedenken" bestand darin, zu sagen, die Kommunisten träten für Freiheit, Demokratie und die Volksfront ein, und gleichzeitig die Liberalen, Sozialisten oder die Mitglieder der P.O.U.M., die ihnen entgegentraten, als Faschisten zu bezeichnen und sie tatsächlich zu liquidieren, wie die P.O.U.M. in Spanien liquidiert wurde.
    Damals kam ich zu einer Schlußfolgerung, die, wenn sie auch augenfällig erscheinen mag, für die Entwicklung meines Denkens über politische Dinge wichtig war. Diese bestand einfach darin, daß beinahe alle Menschen ein äußerst lückenhaftes Verständnis der Wirklichkeit haben. Nur einige wenige Dinge, die ihre eigenen Interessen und ihre eigenen Gedankengänge veranschaulichen, sind für sie wirklich; andere Dinge, die tatsächlich genau so wirklich sind, erscheinen ihnen als Abstraktionen. Auf diese 'Weise erscheint Männern, wenn sie sich entschlossen haben, eine gewisse Handlungsweise zu verfolgen, alles, was zu ihrer Unterstützung dient, lebendig und real; alles aber, was dagegensteht, wird zur Abstraktion. Die eigenen Freunde werden zu Verbündeten und daher zu wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut wie man selber. Die Gegner sind nur ermüdende, unvernünftige, unnötige Thesen, deren Leben genau so viele falsche Behauptungen sind, die man gern mit einer Bleikugel ausstreichen möchte, wie man mit einem Bleistiftstrich einen stümperhaft geschriebenen Absatz ausstreichen würde.
    Es verlangt die außergewöhnlich stark entwickelten Eigenschaften einer fairen Denkweise oder eines holentwickelten phantasiereichen Verständnisses, um nicht in dieser Art und Weise zu denken. Während des spanischen Krieges bestürzte es mich, festzustellen, daß ich selber so dachte. So oft ich Photographien von Kindern sah, die von Faschisten ermordet worden waren, wurde ich von wütendem Mitleid erfüllt. Wenn die Franco-Anhänger von Gewalttaten der Roten erzählten, war ich nur empört darüber, daß Leute derartige Lügen erzählten. Im ersten Falle sah ich Leichen, im zweiten nur Worte. Indessen lernte ich es, nie ohne Selbstkritik zu leben, und auf diese Weise bildete sich bei mir ein gewisses Entsetzen über die Art und

Weitere Kostenlose Bücher