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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Frühlings und Sommers 1932 fand eine Reihe von Wahlen statt, die das Land wie Erdbeben erschütterten: die Reichspräsidentenwahl in zwei Wahlgängen, zwei Reichstagswahlen und eine Wahl zum Preußischen Landtag; all das innerhalb von acht Monaten und in einem Lande, das am Rande des Bürgerkrieges stand. Unser Anteil an den Wahlkämpfen bestand darin, von Wohnungstür zu Wohnungstür zu gehen und Stimmen zu werben, Parteiliteratur zu verteilen und eigene Flugblätter heraus – zugeben. Die Stimmenwerbung, genannt „Haus-Hof-Propaganda", war der schwierigste Teil; sie wurde meist am Sonntagmorgen unternommen, wo die Leute gewöhnlich zu Hause waren. Wir klingelten, klemmten, sobald geöffnet wurde, den Fuß zwischen Tür und Schwelle und boten unsere Broschüren und Flugblätter an, was wir mit der freundlichen Einladung verbanden, auf der Stelle eine politische Diskussion zu beginnen; wir hausierten mit der Weltrevolution wie mit Staubsaugern. Die Reaktion der Leute war meist unfreundlich, nur selten aggressiv. Mir wurde oft die Tür vor der Nase zugeworfen, aber niemals hatte ich eine Schlägerei zu bestehen. Allerdings vermieden wir, an den Türen bekannter Nationalsozialisten zu klingeln. Und die Nazis in unserem Häuserblock waren uns alle bekannt, wie andererseits auch die Nationalsozialisten ihre Listen der KP-Mitglieder des Bezirkes hatten; die Unterrichtung besorgten unsere rivalisierenden Zellen- und Blockwartsysteme. Das ganze Reich, in Stadt und Land, war damals von diesen zwei feinmaschigen Netzen überzogen. Ich glaube noch heute, daß wir ohne die ruckartigen Einmischungen Moskaus, die unser eigenes Netz immer wieder in Verwirrung brachten und unseren Händen entrissen, gute Aussicht gehabt hätten, zu gewinnen. Die große Idee, die nötige Opferbereitschaft und die Unterstützung der Massen waren alle da.
     
     
    Primat der Dialektik
     
    Dennoch verloren wir den Kampf; denn wir glaubten, die Angler zu sein, in Wirklichkeit waren wir bloß der Köder am Haken. Das wurde uns nicht bewußt, weil unser ganzes Denken darauf trainiert worden war, jede noch so absurde Parole der Partei als Ausdruck unserer eigensten Wünsche und Überzeugungen hinzunehmen. Wir hatten uns geweigert, mit den Sozialdemokraten bei der Präsidentenwahl einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen; und als die Sozialdemokraten Hindenburg als das kleinere Übel gegen Hitler unterstützten, nominierten wir Thälmann, obgleich es für ihn nicht die geringste Aussicht gab – es sei denn die Aussicht, daß er genügend proletarische Stimmen absplittern würde, um Hitler noch schneller an die Macht zu bringen. Aber unser Instruktor hielt ein Referat, in dem er uns bewies, daß es kein „kleineres Übel" gebe, daß die Parole des „kleineren Übels" auf einem philosophischen, strategischen und taktischen Trugschluß beruhe und eine diversionistische, liquidatorische und konterrevolutionäre Lüge sei; und folglich hatten wir für jeden, der diesen ominösen Ausdruck auch nur in den Mund nahm, von jetzt an nichts als Mitleid und Verachtung übrig. Ja mehr noch, wir waren überzeugt, daß wir selbst den Begriff des kleineren Übels schon immer für eine Erfindung des Teufels gehalten hatten. Wie konnte es nur irgend jemandem entgehen, daß es besser war, sich beide Beine amputieren zu lassen, als wenigstens eines zu retten? Und daß die korrekte revolutionäre Politik darin bestand, der verkrüppelten Republik die Krücken wegzustoßen? Der Glaube ist ein wundersames Ding: er kann nicht nur Berge versetzen, er kann den Gläubigen auch überzeugen, daß ein Hering ein Rennpferd ist.
    Nicht allein unser Denken, auch unsere Sprache und Ausdrucksweise wurde völlig umdressiert. Gewisse Worte waren absolut tabu – z. B. „kleineres Übel" oder „spontan"; das letztere, weil „spontane Äußerungen des revolutionären Klassenbewußtseins" zu der trotzkistischen Theorie der permanenten Revolution gehörten. Andere Ausdrücke wiederum wurden zu bevorzugten Haushaltsworten in unserem Vokabular. Ich denke dabei nicht nur an den typischen kommunistischen Jargon mit seinen „werktätigen Massen", sondern auch an Worte wie „konkret" oder „sektiererisch". („Du mußt deine Frage in einer konkreten Form stellen, Genosse!"; „Du nimmst eine linkssektiererische Haltung ein, Genosse!") Eines unserer ausgefallensten Lieblingsworte war „herostratisch". In einem seiner Werke hatte Lenin den Griechen Herostratus erwähnt, der einen Tempel

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