Ein Gott der keiner war (German Edition)
eines regulären Parteimitgliedes führte. Tatsächlich hatte mir Edgar schon einige Zeit vor meinem Austritt aus dem Verlag erlaubt, unter meinem Decknamen Iwan Steinberg in die Zelle des Roten Blocks einzutreten. Dies stellte eine Art Belohnung für mein gutes Betragen dar und für die langen Berichte, die ich Paula diktiert hatte. Ich wohnte damals noch in Neu-Westend, mehrere Kilometer vom Bonner Platz entfernt; die Partei nahm deswegen anscheinend an, daß mich am Bonner Platz niemand erkennen würde. Das war natürlich Unsinn – typische „Partei-Schlamperei"; denn der Rote Block war, wie gesagt, eine Künstler-und Schriftstellerkolonie; als ich zum erstenmal in der Zelle auftauchte und lakonisch als das neue Mitglied Genosse Steinberg vorgestellt wurde, grinsten mir zur Begrüßung ein halbes Dutzend bekannte Gesichter entgegen.
Nach meinem Ausscheiden aus dem Ullstein-Verlag widmete ich mich mit Leib und Seele dem brüderlichen Leben in der Zelle. Diese umfaßte etwa zwanzig Mitglieder und kam regelmäßig ein- oder zweimal in der Woche zusammen. Wie alle anderen Parteizellen wurde sie von einem „Dreieck" geleitet: dem „Pol.-Leiter", dem „Org.-Leiter" und dem „Agitprop". Unser Pol.-Leiter war Alfred Kantorowicz, bis vor kurzem Herausgeber der sowjetisch lizenzierten Berliner Monatsschrift „Ost und West" . Er war damals ungefähr dreißig Jahre alt, groß, hager, etwas schielend, der sich schlecht und recht mit Artikeln und Kritiken, hauptsächlich für die Ullstein-Presse, durchschlug und seit Jahren den Meister-Roman unserer Zeit plante, ein Werk, das nie das Licht der Welt erblicken sollte. Aber er war ein ausnehmend warmherziger Genosse und aufopfernder Freund; er besaß Anstand, Humor und Mut; sein einziger Fehler war Mangel an Zivilcourage der Parteiobrigkeit gegenüber. Wir blieben während der Emigrantenjahre in Paris gute Freunde; als ich mit der Partei brach, war er der einzige, der nicht über mich herfiel. [4] Jetzt ist er unter den Sowjets ein literarischer Bonze – möge ihn seine Unschuld und Biegsamkeit auch weiter davor bewahren, daß er jemals in die Schlingen des konterrevolutionären Formalismus, des bürgerlichen Kosmopolitismus, des verrotteten Liberalismus oder gar des neo-kantianischen Banditentums fällt.
Unser Org.-Leiter war Max Sdueder, ebenfalls ein littgrateur , der von den Lorbeeren lebte, die er einst als Neunzehnjähriger mit der Veröffentlichung einiger bemerkenswerter Gedichte geerntet hatte. Aber auch er war ein anständiger Kerl, der liebenswerte Typ des Münchener Bohemiens, welcher mit der völligen Hingabe an die Partei seine literarischen, erotischen, finanziellen und sonstigen Mißgeschicke kompensierte. Der Posten des Agitprop fiel bald nach meinem Eintritt in die Zelle mir zu; nach den Artikeln für die B. Z. war es erquickend, Flugblätter mit jakobinischem Pathos zu fabrizieren. Von den anderen Mitgliedern der Zelle ist mir weiter Dr. Wilhelm Reich im Gedächtnis geblieben, der Gründer und Leiter des Instituts für Sexualpolitik. Er war ein freudianischer Marxist; von Malinowsky angeregt, hatte er gerade ein Buch veröffentlicht, das den Titel „Die Funktion des Orgasmus" trug und in dem er die Theorie aufstellte, die sexuellen Hemmungen des Proletariats verhinderten die Entfaltung seines politischen Bewußtseins; nur durch eine volle, ungehemmte Entladung des Sexualtriebes könne die Arbeiterklasse ihr revolutionäres Potential und ihre Sendung verwirklichen. Nach Hitlers Machtergreifung veröffentlichte Reich eine glänzende Studie über die „Massenpsychologie des Faschismus" , die jedoch von der Partei verurteilt wurde; er brach mit der KPD und leitet heute ein wissenschaftliches Forschungsinstitut in den USA. Des weiteren hatten wir zwei Schauspieler des Avantgarde-Theaters „Die Mausefalle" ; mehrere Mädchen mit vagen intellektuellen Ambitionen; einen Versicherungsagenten; den jungen Ernst, Sohn des Obsthändlers an der Ecke, und einige Arbeiter-Genossen.
Zellen-Arbeit
Die Tätigkeit der Zelle hatte halb legalen, halb illegalen Charakter. Alle unsere Versammlungen begannen mit einem politischen Referat, das entweder vom PoL-Leiter gehalten wurde, nachdem dieser auf der Bezirksleitung mit den nötigen Instruktionen versehen worden war, oder von einem „Instruktor" der Bezirksleitung selbst. Zweck dieser Vorträge war, die Parteilinie in bezug auf die verschiedenen Tagesfragen festzulegen.
Während jenes schicksalsschweren
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