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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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der Hand eines Polizisten und einer Pistole in der Hand eines Mitglieds der revolutionären Arbeiterklasse? Der Unterschied zwischen einer Pistole in der Hand eines Polizisten und einer Pistole in der Hand eines Mitglieds der revolutionären Arbeiterklasse ist, daß der Polizist ein Lakai der herrschenden Klasse und seine Pistole somit ein Werkzeug der Unterdrückung ist, während dieselbe Pistole in der Hand eines Revolutionärs ein Mittel zur Befreiung der unterdrückten Massen wird. Dasselbe gilt für den Unterschied zwischen der sogenannten „bürgerlichen Moral" und der proletarischen Moral. Die Institution der Ehe, die in der kapitalistischen Gesellschaft lediglich die Verrottung der bürgerlichen Moral widerspiegelt, wird in einer gesunden proletarischen Gesellschaft durch einen dialektischen Funktionswechsel verwandelt. Hast du das verstanden, Genosse, oder soll ich meine Antwort in konkreterer Form wiederholen?
    Wiederholungen in der Diktion; die Katechismustechnik, eine rhetorische Frage zu stellen und sie bis auf den letzten Buchstaben in der Antwort zu wiederholen; der Gebrauch von stereotypen Adjektiven und das Abtun aller unbequemen Meinungen und Tatsachen durch den einfachen Kniff, sie mit Anführungsstrichen zu versehen und auf diese Weise in einen ironischen Tonfall zu kleiden (die „revolutionäre" Vergangenheit Trotzkis, das „humanistische" Geblök der „liberalen" Presse usw.) – all das zusammen ergab jenen Stil, dessen unbestrittener Meister Josef Djugaschwili ist, und der allein schon durch seine Monotonie eine einschläfernde und hypnotische Wirkung erzeugte. Zwei Stunden dieses dialektischen Tam-Tams genügten, um einen vergessen zu lassen, ob man ein Männchen oder Weibchen war – man war dann bereit, das eine oder das andere zu glauben, sobald die falsche Alternative in ironischen Gänsefüßchen erschien. Man war ebenso auch zu glauben bereit, daß die Sozialdemokraten a) den Hauptfeind darstellten und b) natürliche Verbündete waren; daß die sozialistischen und kapitalistischen Länder a) friedlich nebeneinander leben und b) unmöglich friedlich nebeneinander leben konnten, und daß, als Engels schrieb, daß der „Sozialismus in einem Lande" unmöglich sei, er genau das Gegenteil gemeint hatte. Man lernte außerdem, mit Hilfe von Kettenschlüssen zu beweisen, daß jeder, der eine andere Meinung als die eigene vertrat, ein Agent des Faschismus war, weil er a) durch seine abweichlerischen Ansichten die Einheit der Partei gefährdete, b) durch diese Gefährdung der Parteieinheit die faschistischen Siegesaussichten erhöhte und daher c) „objektiv" als Agent des Faschismus handelte, selbst wenn ihm die Faschisten „subjektiv" in Dachau die Nieren zu Brei geschlagen haben sollten. Begriffe wie „Agent des ...", „Demokratie", „Freiheit" usw. hatten im Parteijargon eine völlig andere Bedeutung als im üblichen Sprachgebrauch, und da sie selbst innerhalb der Partei mit jeder Änderung der offiziellen Linie einen neuen Sinn annahmen, glichen unsere polemischen Methoden der Kroquett-Partie der Herzkönigin aus „Alice im Wunderland" , bei der sich die Tore selbständig über das Feld bewegten und die Kugeln aus lebenden Igeln bestanden. Der einzige Unterschied war der, daß hier, wenn ein Spieler seinen Einsatz verpaßte und die Herzkönigin: „Kopf ab!" rief, der Befehl auch wirklich ausgeführt wurde. Wer sich in der Partei halten wollte, mußte ein Künstler dieses Wunderland-Kroquetts werden.
     
     
    Proletarier und Intellektuelle
     
    Eine besondere Eigenart des damaligen Parteilebens war der Proletenkult und die Verachtung der Intellektuellen. Wir kommunistischen Intellektuellen bürgerlicher Herkunft waren in der Partei geduldet, aber wenig geschätzt; und diese Tatsache wurde uns Tag und Nacht unter die Nase gerieben. Wir wurden geduldet, weil Lenin es so gewollt hatte und weil Sowjetrußland nicht ohne die Arzte, Ingenieure und Wissenschaftler der vorrevolutionären Intelligenz und ohne die verhaßten ausländischen Spezialisten auskommen konnte. Aber es wurde uns nicht mehr Vertrauen und Respekt entgegengebracht als der Kategorie „nützlicher" Juden im Dritten Reich, die man mit besonderen Armbinden versah, damit sie nicht durch ein Versehen in die Gaskammern geschoben wurden, ehe ihre Nützlichkeitsspanne abgelaufen war. Der Proletarier nahm in der KPD gewissermaßen die Stellung des „Ariers" ein, und die soziale Herkunft der Eltern und Großeltern war bei der

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