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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Laufe der Jahre kam ein intuitives Gefühl für die Würde des Menschen hinzu und ein Gefühl der Ehrfurcht vor seinem Streben, immer wieder über sich selbst hinauswachsen zu wollen, das die Wurzel seiner ewigen Unruhe ist. Ich glaube jedoch nicht, daß ich hiermit eine nur mir eigentümliche Abart des Sozialismus vertrete. Die oben aufgezählten „verrückten Wahrheiten" sind älter als der Marxismus. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts haben sie sich in die durch den industriellen Kapitalismus entstandene Arbeiterbewegung geflüchtet, in der sie seither eine unversiegliche Quelle der Anregung geblieben sind. Ich habe des öfteren schon meine Meinung über die keineswegs starren und unveränderlichen Beziehungen zwischen sozialistischer Bewegung und sozialistischer Theorie zum Ausdruck gebracht. Mit dem Fortschritt der Erkenntnisse können die Theorien veralten und überwunden werden, die Bewegung aber bleibt bestehen. Es wäre indessen verfehlt, wollte man mich im Hinblick auf den alten Gegensatz zwischen den Doktrinären und Empirikern der Arbeiterbewegung unter die letzteren einreihen. Für mich ist die sozialistische Politik nicht an irgendeine bestimmte Theorie gebunden, sondern an einen Glauben. Je wissenschaftlicher sich die sozialistischen Theorien gebärden, um so vergänglicher sind sie; „sozialistische Werte" aber bleiben beständig. Der Unterschied zwischen theoretischen Leitsätzen und Werten aber wird nicht hinreichend anerkannt und ist doch von grundsätzlicher Bedeutung. Mit gemeinsamen Theorien kann man vielleicht eine Schule begründen, nicht aber – wie es mit gemeinsamen Werten möglich ist – eine Kultur, eine Zivilisation, eine neue Form menschlichen Zusammenlebens.

RICHARD WRIGHT
     
     
     
     
     
    1
     
    An einem Donnerstagabend erhielt ich von einer Gruppe junger Weißer, die ich aus der Zeit meiner Arbeit bei der Post her kannte, eine Aufforderung, mich mit ihnen in einem der Hotels im Süden von Chicago zu treffen und über die Weltlage zu diskutieren. Wir waren etwa zehn, die da zusammenkamen, Salamibrote aßen, Bier tranken und redeten. Zu meinem Erstaunen entdeckte ich, daß viele von ihnen der Kommunistischen Partei angehörten. Ich suchte sie zum Widerspruch aufzustacheln, indem ich ihnen die Possen der kommunistischen Neger vordeklamierte, die ich in den Parks gehört hatte, und mir wurde erklärt, daß diese Possen eben zur „Taktik" gehörten und ganz in Ordnung seien. Ich hatte meine Zweifel.
    Dann wurden wir an einem Donnerstagabend von Sol, einem jungen Juden, mit der Ankündigung überrascht, daß ihm der Amboss, eine von Jack Conroy redigierte kleine Zeitschrift, eine Kurzgeschichte abgenommen habe und daß er dem John Reed Club, einer revolutionären Künstlervereinigung, beigetreten sei. Sol bat mich wiederholt, die Versammlung des Klubs zu besuchen.
    „Es würde Ihnen gefallen", sagte er.
    „Ich möchte nicht organisiert sein", erwiderte ich.
    „Sie könnten Ihnen beim Schreiben helfen."
    „Niemand kann mir sagen, wie und was ich schreiben soll."
    „Kommen Sie und sehen Sie selbst", drängte er. „Was haben Sie schon dabei zu verlieren?"
    Ich hatte das Gefühl, daß Kommunisten unmöglich ein aufrichtiges Interesse an uns Negern haben könnten. Ich war so zynisch, daß es mir lieber war, wenn ich einen Weißen sagen hörte, er hasse die Neger, was ich ihm ohne weiteres glauben konnte, als wenn ich von ihm gehört hätte, er respektiere sie, was ich angezweifelt hätte.
    An einem Samstagabend, als ich keine Lust zum Lesen hatte, beschloß ich, beim John Reed Club in der Eigenschaft eines lediglich belustigten Zuschauers zu erscheinen. Ich fuhr bis zum Loop und fand dort die Hausnummer. Eine düstere Treppe führte nach oben; es sah nicht sehr einladend aus. Was in aller Welt konnte in einem derart schmutzigen Winkel Wichtiges vor sich gehen? Durch die Fenster über mir konnte ich unklar Malereien an den Wänden sehen. Ich stieg die Treppe empor bis zu einer Tür, an der „The Chicago John Reed Club" geschrieben stand.
    Ich öffnete sie und betrat den sonderbarsten Raum, den ich je gesehen hatte. Papiere und Zigarettenstummel lagen auf dem Fußboden herum. Einige Bänke standen längs der Wände, die in grellen Farben mit Kolossalfiguren bannertragender Arbeiter bemalt waren; ihre Münder waren zu wilden Schreien aufgerissen, ihre gespreizten Beine schritten über Städte.
    „Hallo."
    Ich wandte mich um und erblickte einen Weißen, der mich lächelnd

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