Ein Gott der keiner war (German Edition)
ansah.
„Ein Freund von mir, ein Mitglied dieses Klubs, bat mich, einmal hierherzukommen. Er heißt Sol“ erklärte ich ihm.
„Seien Sie willkommen", sagte der Weiße. „Heute abend ist allerdings nichts los. Wir haben eine Redaktionskonferenz. Malen Sie?" Er war leicht angegraut und trug einen Schnurrbart.
„Nein", sagte ich. „Ich versuche zu schreiben."
„Dann nehmen Sie doch an der Redaktionskonferenz unserer Zeitschrift Linksfront teil", schlug er vor.
„Ich verstehe nichts von redaktioneller Arbeit", sagte ich. „Sie könnten es lernen."
Ich blickte ihn zweifelnd an. „Ich möchte hier nicht stören." „Ich heiße Grimm", sagte er dann.
Ich nannte ihm meinen Namen und wir gaben uns die Hand. Dann ging er auf einen Schrank zu und kam mit einem Arm voller Zeitschriften zurück.
„Hier sind einige alte Nummern von den Massen ", sagte er; „haben Sie schon mal daraus gelesen?"
„Nein", antwortete ich.
„Einige der besten amerikanischen Schriftsteller schreiben dafür", erklärte er. Außerdem gab er mir noch Hefte einer Zeitschrift mit dem Titel Internationale Literatur . „Da sind Sachen drin von Gide, Gorki . • ."
Ich versicherte ihm, daß ich sie lesen würde. Er führte mich in ein Büro hinüber und machte mich mit einem jungen Juden bekannt, der einer der bekanntesten Maler des Landes werden sollte, mit einem andern jungen Menschen, der einer der hervorragendsten Komponisten seiner Zeit werden sollte, einem Schriftsteller, der einige der besten Romane seiner Generation verfassen sollte, und einem jungen Juden, dem es bestimmt war, die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Deutschen zu verfilmen. Ich traf hier Männer und Frauen, die noch Jahrzehnte zu meinem Bekanntenkreis gehörten; es waren die ersten Menschen in meinem Leben, mit denen mich ein engeres Verhältnis verbinden sollte.
Ich saß in einer Ecke und hörte zu, während sie über ihre Zeitschrift Linksfront sprachen. Behandelten sie mich etwa deswegen so höflich, weil ich ein Neger war? Ich mußte diesen Leuten gegenüber kühle Vernunft bewahren, sagte ich mir. Ich wurde aufgefordert, einen Beitrag für die Zeitschrift zu schreiben, und erwiderte unbekümmert, daß ich es mir überlegen werde. Nach der Zusammenkunft traf ich eine junge Irin, die bei einer Anzeigenvermittlung arbeitete, ein Mädchen, das im Sozialwesen tätig war, eine Lehrerin und die Frau eines prominenten Universitätsprofessors. Ich hatte einmal als Diener bei Leuten dieses Schlages gearbeitet und betrachtete sie nun mit Skepsis. Ich suchte ihre Motive zu ergründen, konnte aber in ihrem Benehmen nichts Herablassendes entdecken.
2
Ich ging in tiefes Nachdenken versunken nach Hause, fragte mich immer wieder, ob die merkwürdigen Weißen, die ich da getroffen hatte, wirklich aufrichtig gewesen waren und versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl in Wirklichkeit zu den Negern stehen möchten. Ich legte mich auf mein Bett und las die Zeitschriften, und ich war sehr erstaunt, als ich entdeckte, daß sich auf dieser Erde Menschen zusammengefunden hatten, um gemeinsam die Wahrheit über das Leben der Unterdrückten und Ausgeschlossenen zu verkünden. Als ich bei den Ämtern um Brot hatte betteln müssen, war mir immer wieder unklar durch den Kopf gegangen, ob sich die Ausgestoßenen nicht in ihrem Handeln, Denken und Fühlen zusammenschließen könnten. Nun wußte ich es. Es geschah ja bereits in einem Sechstel der Erde. Die revolutionären Reden sprangen mir aus den Druckseiten entgegen und trafen mich mit ungeheurer Gewalt.
Es war weder die Wirtschaftsform des Kommunismus noch die große Macht der Gewerkschaften, oder die erregende Atmosphäre der politischen Untergrundbewegung, die mich anzog; meine Aufmerksamkeit wurde vielmehr von der Gleichartigkeit der Erfahrungen der Arbeiterschaft in anderen Ländern gefesselt, von der Möglichkeit, diese weitverstreuten und einander doch so verwandten Menschen zu einem Ganzen zusammenzuschließen. Es schien mir, daß hier endlich, in diesem revolutionären Ausdrucksbereich, die Erfahrungen der Neger einen Platz finden, einen praktischen Wert haben und eine Rolle spielen könnten. Aus den Zeitschriften, die ich las, klang mir das leidenschaftliche Verlangen nach den Erfahrungen der Enterbten entgegen, und nichts war darin von dem lahmen Gerede der Missionare. Da hieß es nicht: „Wenn ihr Mut genug habt, gerade heraus zu sagen, was euch bewegt, so werdet ihr entdecken, daß ihr nicht allein
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