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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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dasteht" Man spornte das Leben an, an das Leben zu glauben.
    Ich las bis tief in die Nacht hinein; dann, gegen Morgen, sprang ich von meinem Bett auf und spannte einen Bogen in die Schreibmaschine. Zum ersten Male von dem Gefühl durchdrungen, daß ich zu Ohren sprach, die lauschend aufgetan sein würden, schrieb ich ein wildes, ungehobeltes Gedicht in freier Versform, in dem ich Bilder von schwarzen Händen gebrauchte, die spielten, arbeiteten, Bajonette trugen und schließlich im Tode erstarrten. Ich hatte das Empfinden, daß das Gedicht auf eine unbeholfene Weise das Leben der Weißen mit dem der Schwarzen verband, zwei Ströme gemeinsamer Erfahrungen zu einem verschmolz.
    Ich hörte jemanden in der Küche herumwirtschaften.
    „Richard, bist du krank?" rief meine Mutter.
    „Nein, ich lese."
    Meine Mutter öffnete die Tür und blickte neugierig auf den Berg Zeitschriften, der auf meinem Kissen lag.
    „Du wirfst doch nicht etwa Geld für solche Zeitschriften raus, wie?" erkundigte sie sich.
    „Nein. Ich habe sie umsonst bekommen."
    Sie humpelte auf ihren verkrüppelten Füßen zum Bett hinüber und nahm ein Heft der Massen in die Hand, auf dessen Umschlag eine gespenstische Zeichnung zum Ersten Mai zu sehen war. Sie rückte ihre Brille zurecht und betrachtete die Zeichnung lange und eingehend.
    „Mein Gott im Himmel", flüsterte sie voller Abscheu.
    „Was hast du denn, Mama?"
    „Was soll das?" fragte sie, auf den Umschlag weisend, den sie mir entgegenhielt „Was ist denn mit dem Mann los?"
    Neben meiner Mutter stehend und mit ihren Augen sehend, starrte ich auf ein Bild, das ein kommunistischer Künstler gezeichnet hatte; es war die Gestalt eines Arbeiters in abgetragener Arbeitskleidung, der eine rote Fahne emporhielt. Die Augen traten dem Manne aus dem Kopf; sein Mund war so weit aufgerissen wie sein ganzes Gesicht; er fletschte die Zähne; seine Halsmuskeln waren wie Seile. Dem Manne folgte eine seltsame Horde von Männern, Frauen und Kindern, die Knüppel, Steine und Heugabeln in den Händen schwangen.
    „Was machen diese Leute?" fragte meine Mutter.
    „Ich weiß nicht", antwortete ich ausweichend.
    „Sind das kommunistische Zeitschriften?"
    'Ja"
    „Wollen die, daß sich die Menschen so benehmen?"
    „Nun ..." zögerte ich.
    Die Miene meiner Mutter verriet Abscheu und Entrüstung. Sie war eine sanftmütige Frau. Ihr Ideal war Christus am Kreuze. Wie sollte ich ihr erklären, daß die Kommunistische Partei von ihr erwartete, johlend und singend durch die Straßen zu marschieren?
    „Was erwarten die Kommunisten denn von uns?" fragte sie.
    „Sie meinen es nicht ganz so, wie du es hier siehst", sagte ich, nach Worten suchend.
    „Wie ist es denn gemeint?"
    „Das soll symbolisch sein", antwortete ich.
    „Warum sagen sie dann nicht geradeheraus, was sie meinen?" „Vielleicht wissen sie nicht recht wie."
    „Warum drucken sie dann solche Sachen?"
    „Sie wissen noch nicht recht, wie sie die Menschen ansprechen sollen", gab ich zu und überlegte dabei, wen ich wohl davon würde überzeugen können, wenn mir das nicht einmal bei meiner eigenen Mutter gelang.
    „Das Bild genügt, um einen hochzubringen", sagte sie, indem sie das Heft fallen ließ und sich zur Tür wandte, dann aber noch einmal stehenblieb. „Du wirst dich doch nicht etwa mit diesen Leuten einlassen?"
    „Ich lese das bloß, Mama", erwiderte ich.
    Meine Mutter ging hinaus, und ich zerbrach mir den Kopf, warum ich nicht imstande gewesen war, ihren einfachen Einwendungen zu entgegnen. Wieder sah ich mir das Umschlagbild der Massen an und wußte, daß die wilde Zeichnung keineswegs die Leidenschaften des kleinen Mannes zum Ausdruck brachte. Ich las das Heft noch einmal durch und kam zu der Überzeugung, daß diese ganze Ausdrucksweise lediglich dem Bemühen um das entsprang, was nach Ansicht der „Künstler" zugkräftig war, wodurch sie meinten, Anhänger zu gewinnen. Sie besaßen zwar ein Programm, ein Ideal, hatten aber noch nicht die richtige Darstellungsweise dafür gefunden.
    Hier war also etwas, was ich tun, aufdecken, aussprechen konnte. Die Kommunisten hatten, meinem Gefühl nach, die Erfahrungen derer, die sie zu führen gedachten, allzusehr vereinfacht. Vor lauter Anstrengung, Massen zu rekrutieren, hatten sie die Bedeutung des individuellen Lebens dieser Massen übersehen und sich eine allzu abstrakte Vorstellung von den Menschen gemacht. Ich würde versuchen, ihnen wieder etwas von seiner Bedeutung zurückzugeben. Ich würde

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