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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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gedemütigt, daß ich alle Verbindungen zu Young in Abrede stellte. Entschlossen, dieser Farce ein Ende zu machen, trieb ich Young in die Enge, indem ich ihn geradeheraus fragte, wer ihn zu seiner Kritik an Swann ermächtigt habe.
    „Man hat mich aufgefordert, den Klub von Verrätern zu befreien."
    „Aber Swann ist kein Verräter", sagte ich.
    „Wir brauchen eine Säuberungsaktion", sagte er mit vorquellenden Augen und einem Gesicht, das vor Leidenschaft bebte.
    Ich ließ seinen großen revolutionären Eifer gelten, hatte jedoch das Gefühl, daß sein Fanatismus ein wenig übertrieben sei. Die Situation verschlimmerte sich. Eine Mitgliederabordnung teilte mir mit, daß sie geschlossen austreten würde, falls die gegen Swann erhobenen Beschuldigungen nicht zurückgenommen würden. Ich war außer mir. Ich fragte bei der Kommunistischen Partei schriftlich an, warum man befohlen habe, Swann zu bestrafen, und erhielt die Antwort, daß kein derartiger Befehl ausgegeben worden sei. Was konnte Young dann im Schilde führen? Wer hatte ihn aufgeputscht? Ich bat schließlich den Klub, die Angelegenheit der Parteiführung vortragen zu dürfen. Nach einer hitzigen Debatte wurde mein Vorschlag angenommen.
    Eines Abends trafen zehn von uns im Büro eines der Parteifunktionäre zusammen, um die von Young erhobenen Beschuldigungen gegen Swann noch einmal anzuhören. Sachlich und leicht belustigt gab der Parteiführer Young das Zeichen zum Beginn. Young entfaltete mehrere Papiere und trug eine ganze Liste politischer Anklagen vor, die in ihrer Bösartigkeit noch weit über die früheren Anschuldigungen hinausgingen. Ich starrte Young mit dem Gefühl an, daß er einen schrecklichen Fehler beging, wobei ich gleichzeitig aber auch Furcht vor Ihm empfand, weil er, seiner eigenen Aussage nach, von hohen politischen Stellen dazu autorisiert war.
    Als Young geendet hatte, fragte der Funktionär: „Würdest du mir erlauben, diese Beschuldigungen durchzulesen?"
    „Selbstverständlich", sagte Young, wobei er ihm einen Durchschlag seiner Anklageschrift überreichte. „Du kannst diesen hier behalten. Ich habe zehn Durchschläge."
    „Warum hast du so viele Durchschläge gemacht?" fragte der Funktionär.
    „Ich wollte verhindern, daß sie mir von irgend jemandem gestohlen werden", sagte Young.
    „Wenn die Beschuldigungen, die dieser Mann gegen mich erhebt, ernst genommen werden", sagte Swann, „trete ich aus und werde den Klub öffentlich bloßstellen."
    „Seht ihr!" schrie Young. „Er ist von der Polizei!"
    Ich hatte genug. Die Zusammenkunft endete mit einer Zusicherung des Parteiführers, daß er die Anschuldigungen sorgfältig durchlesen und ein Gutachten darüber abgeben werde, ob Swann zur Verantwortung gezogen werden solle oder nicht. Ich war überzeugt, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, wußte aber nicht genau zu sagen, was. Eines Nachmittags ging ich in den Klub, um ausführlich mit Young zu sprechen, traf ihn jedoch nicht an. Auch am nächsten Tage war er nicht da. Eine ganze Woche lang versuchte ich erfolglos, ihn zu erreichen. Inzwischen erkundigten sich die Klubmitglieder bei mir, wo er denn stecke, und niemand wollte mir glauben, als ich erklärte, es nicht zu wissen. War er krank? Hatte ihn die Polizei aufgegriffen?
    Eines Nachmittags schlichen Genosse Grimm und ich heimlich in die Klubräume und öffneten Youngs Gepäck. Was wir dort fanden, bereitete uns einiges Kopfzerbrechen. Zunächst stießen wir auf eine fast zwanzig Meter lange Papierrolle aus aneinandergeklebten Einzelblättern, auf denen in Zeichnungen die Geschichte der Menschheit vom marxistischen Standpunkt aus dargestellt war. Auf der ersten Seite lasen wir: „Der wirtschaftliche Fortschritt der Menschheit in Bildern."
    „Der hat sich ja allerhand vorgenommen", meinte ich.
    „Er ist sehr fleißig", sagte Grimm.
    Da waren weiter lange, handgeschriebene Abhandlungen über politische und kunstgeschichtliche Themen. Schließlich fanden wir einen Brief aus Detroit, an dessen Absender ich umgehend die briefliche Bitte richtete, uns doch etwas über unseren geschätzten Freund mitzuteilen. Einige Tage später kam ein Brief, in dem es unter anderem hieß:
    „Sehr geehrter Herr, in Beantwortung Ihres Briefes erlauben wir uns Ihnen mitzuteilen, daß Mr. Young, der als Patient in unserer Anstalt war und vor ein paar Monaten unserer Aufsicht entwich, wieder ergriffen und in unsere Nervenheilanstalt zurückgebracht worden ist."
    Ich war wie vom Donner gerührt.

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