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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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stotterte ich mit dem Versuch, meine politische Unwissenheit nicht durchblicken zu lassen, denn ich hatte die Einzelheiten von Trotzkis Kampf gegen die Kommunistische Partei der Sowjetunion nicht näher verfolgt, „es scheint, daß er einen Beschluß, der gefaßt worden war, ablehnte und eine Parteiopposition organisierte."
    „Wegen gegenrevolutionärer Tätigkeit", schnauzte er ungeduldig; ich hörte nachher, daß meine Antwort nicht befriedigend gewesen war, weil sie nicht in die akzeptablen Phrasen der erbitterten antitrotzkistischen Hetze gekleidet war.
    „Ich verstehe", sagte ich. „Aber ich habe nie Trotzki gelesen. Wie ist seine Stellungnahme zur Frage der Minderheiten?"
    „Was fragst du mich?" fragte er. „Ich lese Trotzki nicht."
    „Hör mal her", sagte ich. „Wenn du mich dabei erwischtest, daß ich Trotzki lese, was würde das in deinen Augen bedeuten?"
    „Genosse, du begreifst nicht", sagte er in ärgerlichem Ton.
    Damit endete die Unterredung. Aber es war nicht das letzte Mal, daß ich den Satz hören sollte: „Genosse, du begreifst nicht." Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich falsche Vorstellungen hatte. Ich hatte nicht eine einzige Arbeit von Trotzki gelesen; im Gegenteil, ich hatte Stalins Buch: Der Marxismus und die nationale und koloniale Frage studiert, das mein Interesse wachgerufen hatte.
    Von allen Entwicklungen innerhalb der Sowjetunion war es vor allem die Art und Weise, wie die verschiedenen rückständigen Völker auf nationaler Basis geeint worden waren, die mich hingerissen hatte. Voller Ehrfurcht hatte ich davon gelesen, wie die Kommunisten Sprachforscher in die weiten Gebiete der Sowjetunion gesandt hatten, um die gestammelten Dialekte jener Völker aufzunehmen, die seit Jahrhunderten von den Zaren unterdrückt worden waren. Ich hatte mich zum ersten Mal in meinem Leben völlig an ein Gefühl verloren, als ich las, wie diese Sprachforscher jenen Menschen, die sich nur stammelnd verständigen konnten, eine Sprache gaben, Zeitungen und Lehrstätten. Ich hatte gelesen, wie diese vergessenen Völker ermutigt worden waren, ihre alte Kultur zu bewahren, in ihren überlieferten Sitten einen Sinn und eine Befriedigung zu finden, die genau so tief waren wie jene, die in angeblich höheren Lebensformen enthalten sind. Und ich hatte mir freudig gesagt, wie verschieden dies doch von der Art und Weise sei, mit der man in Amerika die Neger von oben herab behandelte.
    Was hatte dann also die Warnung zu bedeuten, die mir der schwarze Kommunist hatte zukommen lassen? Warum war ich verdächtig, wo ich doch nur die ungeheuren körperlichen und seelischen Schäden im Leben der Neger aufdecken wollte, die verborgene Tiefe in diesem ausgestoßenen Volk, die Tragödien – alt wie die Menschheit selbst und die Sonne, die Berge und Meere —, die sich in der Armseligkeit des schwarzen Amerikas abspielen? War es denn so gefährlich, aufzuzeigen, daß die Leiden der Neger dieselben waren wie die anderer Völker?
     
     
    6
     
    Ich saß eines Vormittags bei Ross in Gegenwart seiner Frau und seines Kindes. Ich kritzelte wie rasend auf meine gelblichen Notizblätter. Es klingelte an der Wohnungstür, und Ross' Frau ließ einen schwarzen Kommunisten eintreten, einen gewissen Ed Green. Er war groß, wortkarg, soldatisch, breitschultrig. Ich wurde ihm vorgestellt und er grüßte mit steifem Kopfnicken.
    „Was geht hier vor sich?" fragte er barsch.
    Ross setzte ihm sein Projekt auseinander, und während er sprach, konnte ich sehen, wie sich Ed Greens Miene verfinsterte. Er hatte sich nicht gesetzt, und als Mrs. Ross ihm einen Stuhl anbot, hörte er gar nicht hin.
    „Was willst du mit diesen Notizen anfangen?" fragte er mich.
    „Ich will versuchen, sie in Geschichten verwenden zu können", sagte ich.
    „Wonach fragst du die Parteimitglieder?"
    „Nach ihrem Leben im allgemeinen."
    „Wer hat dir vorgeschlagen, dies zu tun?" fragte er.
    „Niemand. Ich bin selbst auf die Idee gekommen."
    „Bist du jemals Mitglied irgendeiner anderen politischen Gruppe gewesen?"
    „Ich habe einmal für die Republikaner gearbeitet", sagte ich.
    „Ich meine irgendwelche revolutionäre Organisationen?" fragte er.
    „Nein. Warum willst du das wissen?"
    „Was für Arbeit hast du?"
    „Ich bringe mich als Straßenfeger durch."
    „Wie weit bist du in der Schule gekommen?"
    „Abschluß der Grundschule."
    „Du redest wie jemand, der weiter gekommen ist”, sagte er.
    „Ich habe gelesen. Ich habe mir alles selbst

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