Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
Vom Netzwerk:
gedrückt sein können, hätte er nicht an der Vision, die ihn zerschmetterte, selbst teilgehabt und sie hingenommen, jene gemeinsame Vision, die uns alle miteinander verband.
    „Genossen", sagte er mit leiser, feierlicher Stimme, „ich bin in allen Punkten der Anklage schuldig, in allen."
    Seine Stimme ging in ein Schluchzen über. Niemand stachelte ihn an. Niemand quälte ihn. Niemand bedrohte ihn. Es stand ihm frei, aus dem Saal zu gehen und nie wieder einen anderen Kommunisten zu sehen. Aber er wollte das gar nicht. Er konnte es nicht. Die Vision einer allen gemeinsamen Welt hatte sich tief in seine Seele gesenkt und würde ihn nie wieder verlassen, bis ihn sein Leben selbst einst verließ. Er sprach weiter, legte in kurzen Umrissen dar, wie er geirrt habe, wie er sich bessern wolle.
    Als ich so dasaß, wußte ich wohl, daß es Leute genug gab – Leute, die das Leben zu kennen glaubten —, welche den Moskauer Prozessen skeptisch gegenüberstanden. Aber sie hätten nicht länger skeptisch bleiben können, wären sie Zeugen dieser erstaunlichen Verhandlung gewesen. Ross hatte keine Spritzen bekommen; er war erweckt worden. Es war nicht die Furcht vor der Kommunistischen Partei, derentwegen er gestanden hatte, sondern die Furcht vor der Strafe, die er selbst auf sich herniederwünschen würde, was ihn von seinen Missetaten berichten ließ. Die Kommunisten hatten so lange zu ihm gesprochen, bis sie ihm neue Augen gegeben hatten, mit denen er sein eigenes Verbrechen erkennen konnte. Und dann setzten sie sich in ihren Stühlen zurück und hörten zu, als er berichtete, wie er gefehlt habe. Er war eins mit allen Parteimitgliedern hier, ohne Rücksicht auf Rasse oder Hautfarbe; sein Herz war das ihre und ihre Herzen waren das seine; und wenn ein Mensch diesen Grad der Verbundenheit mit anderen erreicht, diesen Zustand des Einsseins, oder wenn eine Verhandlung ihn wieder mit seinen Genossen verbindet, nachdem er durch seine Missetaten von ihnen getrennt worden war, dann muß er aufstehen und sagen, einfach aus dem tiefsten moralischen Empfinden heraus: „Ich bin schuldig. Vergebt mir."
    Für mich war dies ein Schauspiel der Verherrlichung ohnegleichen; und dennoch – weil auch ich schuldig gesprochen war, weil sie sich als blind und unwissend erwiesen hatten – fühlte ich, daß es ein Schauspiel des Grauens war. Die Blindheit ihres begrenzten Erlebens, ihres von einer Unterdrückung abgestumpften und armselig gemachten Lebens – eine Unterdrückung, unter der sie schon gelitten hatten, lange bevor sie überhaupt vom Kommunismus hörten – ließ sie glauben, daß ich zu ihren Feinden gehöre. Das amerikanische Leben hatte ihr Bewußtsein so kommunisiert, daß sie ihre Freunde nicht zu erkennen vermochten, selbst wenn sie ihnen gegenüberstanden. Ich wußte, daß ich, wenn sie die Macht im Staate besessen hätten, des Verrates für schuldig erklärt worden und meine Hinrichtung erfolgt wäre. Und ich wußte, daß sie mit aller Macht ihrer finsteren Verblendung an dem Gefühl festhielten, im Recht zu sein.
    Ich konnte nicht bis zum Ende bleiben. Mich verlangte heraus aus dem Saal und hinaus auf die Straße, um die ungeheure Spannung von mir abzuschütteln, die mich gepackt hatte. Ich stand auf und ging zur Tür; ein Genosse schüttelte den Kopf, um mir zu bedeuten, daß ich nicht gehen könne, ehe die Verhandlung zu Ende war.
    „Sie können jetzt nicht fortgehen", sagte er.
    „Ich werde jetzt hier rausgehen", sagte ich, und meine Empörung ließ meine Stimme lauter klingen, als es meine Absicht gewesen war. Wir starrten uns wutentbrannt an. Ein anderer Genosse kam dazu gelaufen. Ich trat einen Schritt vor. Der dazugekommene Genosse gab ein Zeichen, demzufolge mir zu gehen erlaubt wurde. Sie wünschten keine Gewalt, ebensowenig wie ich. Sie traten zur Seite.
    Ich ging auf die dunklen Chicagoer Straßen hinaus und wanderte durch die Kälte heimwärts, erfüllt von einem Gefühl der Trauer. Wieder einmal hielt ich mir vor, daß ich lernen müsse, allein dazustehen. Ich fühlte mich nicht so verletzt dadurch, daß sie mich zurückgestoßen hatten, daß ich etwa gewünscht hätte, meine Tage mit Jammern darüber zu verbringen, was sie mir angetan hatten. Vielleicht rettete mich das, was ich schon in meiner Kindheit empfinden gelernt hatte, vor diesem nutzlosen Weg. Ich lag in dieser Nacht im Bett und sagte mir: „Ich werde für sie sein, auch wenn sie nicht für mich sind."
     
     
    13
     
    Von der

Weitere Kostenlose Bücher