Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
Vom Netzwerk:
Namen rufen. Ich wandte mich um. Links von mir stand die Abteilung Südbezirk der Kommunistischen Partei, abmarschbereit in Reih und Glied.
    „Komm her!" rief mir ein alter Parteifreund zu.
    Ich ging zu ihm hinüber.
    „Marschierst du heute denn nicht?" fragte er mich.
    „Ich habe meinen Bezirksverband verfehlt", erklärte ich ihm. „Na, wenn schon; marschiere bei uns mit."
    „Ich weiß nicht recht", sagte ich, meines letzten Besuches im Hauptquartier der Partei eingedenk, und meines Status als ein „Feind". „Heute ist 1. Mai", sagte er. „Rein in die Reihe."
    „Du weißt, welche Unannehmlichkeiten ich gehabt habe." „ Das macht nichts, heute marschiert jeder."
    „Ich glaube, ich lasse es lieber", sagte ich, den Kopf schüttelnd. „Hast du Angst?" fragte er. „Es ist der 1. Mai heute."
    Er griff mich beim rechten Arm und zog mich neben sich in die Reihe. Ich stand da im Gespräch mit ihm, fragte ihn nach seiner Arbeit, nach gemeinsamen Freunden.
    „Raus hier aus unseren Reihen!" kläffte eine Stimme.
    Ich drehte mich um. Ein weißer Kommunist, Führer einer Bezirksgruppe der Kommunistischen Partei, Cy Perry, ein schlanker Bursche mit kurzgeschnittenem Haar, stand da und sah mich zornig an.
    „Es ist der 1. Mai und ich möchte mitmarschieren", sagte ich.
    „Raus!” brüllte er.
    „Ich bin hier aufgefordert worden", sagte ich.
    Ich wandte mich nach meinem alten Freunde um, der mich aufgefordert hatte, mich mit einzureihen. Ich wollte keine offene Gewalt Ich sah meinen Freund an. Er wandte seinen Blick ab. Er hatte Angst. Ich wußte nicht, was ich tun sollte.
    „Du hast mich doch aufgefordert, hier mitzumarschieren", sagte ich zu ihm.
    Er gab keine Antwort.
    „Sag ihm doch, daß du mich eingeladen hast", sagte ich, ihn am Ärmel zupfend.
    „Ich fordere Sie jetzt zum letzten Male auf, unsere Reihen zu verlassen!" brüllte Cy Perry.
    Ich rührte mich nicht. Ich hatte wohl die Absicht gehabt, wegzugehen, war aber von so vielen Regungen erfüllt, daß ich nicht zu handeln vermochte. Ein weiterer weißer Kommunist kam Perry zu Hilfe. Perry griff mich beim Kragen und zerrte. Ich widerstrebte. Sie hielten fest. Ich kämpfte, um frei zu kommen.
    „Lassen Sie mich los!" sagte ich.
    Hände hoben meinen Körper von der Straße hoch; ich fühlte mich quer durch die Luft geschleudert. Ich bewahrte mich davor, mit dem Kopf zuerst aufzuprallen, indem ich die Hände nach der Bordschwelle vorstreckte. Langsam richtete ich mich hoch und stand. Perry und sein Helfer sahen mich voller Wut an. Die Reihen der weißen und schwarzen Kommunisten blickten mit kühlem Nichterkennen zu mir herüber. Ich konnte noch nicht ganz fassen, was geschehen war, wenn auch meine Hände schmerzten und bluteten. Ich hatte in aller Öffentlichkeit einen tätlichen Angriff zweier weißer Kommunisten hinnehmen müssen, wobei schwarze Kommunisten zugeschaut hatten. Ich vermochte mich nicht vom Fleck zu rühren. Nicht ein einziger Gedanke war in mir, was ich etwa tun könnte. Aber ich war nicht zum Kämpfen aufgelegt. Ich war über meine Kindertage hinausgewachsen.
    Plötzlich begannen die gewaltigen Reihen der Kommunistischen Partei sich in Bewegung zu setzen. Scharlachrote Banner mit dem Hammer und Sichel der Weltrevolution wurden gehoben und flatterten im Maienwind. Die Trommeln schlugen. Stimmen klangen auf. Der Tritt zahlreicher Füße erschütterte den Boden. Lange Reihen entschlossen blickender Männer und Frauen, weiße und schwarze, fluteten an mir vorüber.
    Ich folgte dem Zuge bis zum Loop und ging in den Grant Park, wo ich mich auf eine Bank setzte. Ich dachte nicht nach; ich konnte nicht denken. Aber ich vermochte nun, die Dinge in einem objektiveren Licht zu sehen. Die verschiedensten Dinge kamen zusammen bei diesem alles aufwirbelnden Kehraus, und so bildete sich eine Haltung, eine neue Perspektive. „Sie sind blind", sagte ich zu mir. „Ihre Feinde haben sie blind gemacht durch allzu starke Unterdrückung." Ich brannte mir eine Zigarette an und hörte ein Lied in der sonnenbeglänzten Luft schweben: Wacht auf, Verdammte dieser Erde!
    Ich erinnerte mich der Geschichten, die ich geschrieben hatte, der Geschichten, in denen ich der Kommunistischen Partei eine ehrenvolle und glänzende Rolle zugewiesen hatte, und ich war glücklich, daß dies alles schwarz auf weiß dastand, daß es abgeschlossen war. Denn ich wußte in meinem innersten Herzen, daß ich nie wieder fähig sein würde, so zu schreiben, nie wieder fähig, mit

Weitere Kostenlose Bücher