Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Rücksicht, aus gesellschaftlicher Politur etwas verschleiern, dann führen Sie mich in allem anderen auch hinters Licht?«
»Nein, ich finde es nicht lächerlich«, wiederholte er ausnehmend ernst, »wäre es unmöglich, daß Sie das Blut Ihres Vaters nicht in sich fühlten? … Freilich, Sie sind noch jung, weil … ich weiß nicht genau … aber ich glaube, daß jemand, der noch nicht volljährig ist, sich nicht duellieren darf, und daß man seine Forderung auch nicht annehmen darf … nach den Regeln … Aber in diesem Fall gibt es nur einen einzigen ernsthaften Einwand: Wenn man ohne das Wissen des Beleidigten, wegen dessen Beleidigung man sich zu duellieren beabsichtigt, eine Forderung ausspricht, dann drückt man damit gleichsam die eigene Mißachtung ihm gegenüber aus, nicht wahr?«
Unser Gespräch wurde von einem Diener unterbrochen, der mit einer Meldung erschien. Bei seinem Eintreten stand der Fürst, der ihn anscheinend erwartet hatte, sofort auf, ohne seine Rede zu Ende zu führen, und trat auf ihn zu, so daß der Diener ihm halblaut etwas melden konnte und ich natürlich nichts verstand.
»Entschuldigen Sie mich«, wandte sich der Fürst nach mir um, »ich werde in einer Minute wieder dasein.«
Darauf ging er hinaus. Ich blieb allein; ich schritt im Zimmer auf und ab und dachte nach. Seltsam, er hatte mir sowohl gefallen als auch fürchterlich mißfallen. Da war irgend etwas, was ich nicht in Worte fassen konnte und was ich dennoch als abstoßend empfand. “Wenn er mich kein bißchen lächerlich findet, so ist er zweifellos wirklich aufrichtig; wenn er mich aber lächerlich gefunden hätte, dann … dann würde ich ihn für klüger halten …”, ging es mir sonderbarerweise durch den Kopf. Ich trat an den Tisch und überflog noch einmal den Brief an Werssilow. Darüber vergaß ich sogar die Zeit, und als ich zu mir kam, merkte ich plötzlich, daß die Minute des Fürsten bestimmt schon eine ganze Viertelstunde gedauert hatte. Das reizte mich ein wenig; ich machte noch einmal eine Runde durch den Raum, nahm schließlich meinen Hut und beschloß, wie ich mich erinnere, das Zimmer zu verlassen und jemand nach dem Fürsten zu schicken, um mich dann sofort von ihm zu verabschieden, mit der Versicherung, ich hätte noch etwas vor und könnte nicht länger warten. Ich glaubte, das wäre am korrektesten, weil mich der Gedanke ein wenig quälte, daß er mich, indem er mich so lange allein ließ, nachlässig behandelte.
Die beiden geschlossenen Türen zu diesem Zimmer befanden sich an beiden Enden derselben Wand. Da ich vergessen hatte, durch welche Tür wir eingetreten waren, aber auch in meiner Zerstreutheit, öffnete ich die erste beste und sah plötzlich in ein langes, schmales Zimmer, und dort auf dem Sofa – meine Schwester Lisa. Außer ihr war niemand da, und sie hatte bestimmt auf jemand gewartet. Aber ich hatte nicht einmal Zeit, mich zu wundern, da ich plötzlich die Stimme des Fürsten hörte, der sich laut mit jemand unterhielt und in das Kabinett zurückkehrte. Ich lehnte die Tür schnell an, und der durch die andere Tür eintretende Fürst merkte nichts. Ich weiß noch, daß er sich entschuldigte und irgendeine Anna Fjodorowna erwähnte … Ich war so verlegen und betroffen, daß ich kaum etwas verstand und nur stotternd hervorbrachte, ich müsse dringend nach Hause, um daraufhin schnell und energisch das Zimmer zu verlassen. Dem wohlerzogenen Fürsten muß mein Benehmen natürlich befremdlich vorgekommen sein. Er begleitete mich ins Vorzimmer und redete die ganze Zeit; ich aber schwieg und sah ihn nicht an.
IV
Als ich auf die Straße trat, bog ich nach links ab und ging aufs Geratewohl weiter. In meinem Kopf herrschte völliges Durcheinander. Ich ging gemächlich und hatte, wie ich glaube, schon ein gutes Stück zurückgelegt, wohl an fünfhundert Schritt, als ich plötzlich einen leichten Schlag auf meine Schulter spürte. Ich wandte mich um und erblickte Lisa: Sie hatte mich eingeholt und mir mit dem Schirm den leichten Schlag versetzt. Etwas ausgelassen Lustiges und ein bißchen Verschmitztes lag in ihrem strahlenden Blick.
»Bin ich aber froh, daß du diese Richtung eingeschlagen hast, sonst hätte ich dich heute nicht mehr gesehen!« Sie war vom schnellen Gehen etwas außer Atem geraten.
»Du bist ja ganz außer Atem.«
»Ich habe mich furchtbar beeilt, um dich einzuholen.«
»Lisa, das warst doch du, die ich vorhin gesehen habe?«
»Wo denn?«
»Beim Fürsten …
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