Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
im Regiment dieses Verhalten zu einem Risiko gemacht hätte: Ein solcher Brief vor dem Rencontre hätte mich dem öffentlichen Tadel ausgesetzt, Sie verstehen? Aber ich hielt dessenungeachtet an meinem Entschluß fest und bin nur nicht dazu gekommen, meinen Brief abzuschicken, weil ich eine Stunde nach seiner Forderung einen weiteren Zettel von ihm in Händen hielt, auf dem er mich bittet zu entschuldigen, daß er mich belästigt habe, und seine Forderung zu vergessen, und hinzufügt, daß er diese ›flüchtige Anwandlung von Kleinmut und Egoismus‹ bedaure – das sind seine eigenen Worte. Auf diese Weise erleichtert er mir jetzt den Schritt mit dem Brief. Ich habe ihn noch nicht abgeschickt, sondern den Fürsten aufgesucht, um ihm einiges zu erklären … Und glauben Sie mir, ich habe unter meinen Gewissensbissen schwerer gelitten als vielleicht mancher andere … Genügt Ihnen diese Erklärung, Arkadij Makarowitsch, wenigstens fürs erste? Werden Sie mir die Ehre geben, meiner Aufrichtigkeit vollen Glauben zu schenken?«
Ich war restlos besiegt; ich sah eine über alle Zweifel erhabene Offenherzigkeit, die ich für völlig ausgeschlossen gehalten hatte. Nicht einmal etwas entfernt Ähnliches hatte ich erwartet. Ich murmelte irgendeine Antwort und streckte ihm wortlos beide Hände entgegen; er schüttelte sie freudig in den seinen. Darauf führte er den Fürsten beiseite und zog sich für etwa fünf Minuten in dessen Schlafzimmer zurück.
»Wenn Sie mir ein besonderes Vergnügen bereiten möchten«, wandte er sich laut und offen an mich, als er mit dem Fürsten wieder herauskam, »dann kommen Sie jetzt mit mir, und ich werde Ihnen den Brief zeigen, den ich sofort an Andrej Petrowitsch abschicken werde, aber auch seinen Brief an mich.«
Ich ging bereitwillig darauf ein. Mein Fürst tat sehr geschäftig, als er sich von mir verabschiedete, und forderte mich auf, ihm ebenfalls für einen Augenblick in sein Schlafzimmer zu folgen.
»Mon ami, ich bin ja so froh, so froh! Wir wollen später all das besprechen. Übrigens, hier, in meinem Portefeuille, zwei Schreiben: Das eine muß persönlich hingebracht und überreicht werden, das andere geht an die Bank – ebenso …«
Mit diesen Worten drückte er mir zwei angeblich unaufschiebbare Aufträge in die Hand, die anscheinend außergewöhnliche Mühe und Sorgfalt verlangten: Hinfahren, persönlich überreichen, bestätigen lassen und so weiter …
»Das ist ja nichts als eine List von Ihnen!« rief ich, indem ich die Briefe an mich nahm. »Ich könnte schwören, daß das alles Unsinn ist und kein Auftrag, daß Sie sich diese beiden Sachen ausgedacht haben, um mich davon zu überzeugen, daß ich angestellt bin und nicht umsonst bezahlt werde!«
»Mon enfant, ich schwöre dir, daß du dich darin irrst: Es sind zwei absolut unaufschiebbare Dinge. Cher enfant!« rief er plötzlich, von Rührung übermannt. »Mein lieber Jüngling!« (Er legte mir beide Hände auf den Kopf.) »Ich segne dich und dein Los … Wir wollen immer reinen Herzens sein wie heute … gut und schön, so viel nur möglich, wir wollen alles Schöne lieben in seinen mannigfaltigen Formen … enfin … enfin rendons grâce … et je te bénis! «
Er sprach nicht zu Ende und flennte über meinem Kopf. Ich gestehe, auch ich war den Tränen nahe; jedenfalls schloß ich meinen Sonderling herzlich in die Arme. Wir küßten einander wiederholt.
III
Fürst Serjoscha (das heißt, Fürst Sergej Petrowitsch), wie ich ihn auch weiterhin nennen werde, brachte mich in einem eleganten Einspänner zu seiner Wohnung, und als erstes staunte ich über die Pracht dieser Wohnung. Das heißt, sie war nicht eigentlich prächtig, sondern comme il faut , wie bei Leuten von Stand üblich: hohe, große, helle Räume (ich habe zwei davon gesehen, die Türen zu den anderen waren geschlossen), die Möbel, auch keineswegs Versailles oder Renaissance, aber weich, komfortabel, zahlreich, alles ausgesprochen großzügig: Teppiche, Intarsien und Statuetten. Dabei wurde ihnen von allen nachgesagt, sie seien bettelarm und besäßen so gut wie nichts. Allerdings hatte ich flüchtig gehört, daß dieser Fürst überall, wo er nur konnte, auf großem Fuß gelebt hätte, sowohl hier als auch in Moskau, in seinem alten Regiment, in Paris, daß er sogar ein Spieler sei und Schulden habe. Mein Rock war nicht nur zerknüllt, sondern auch voller Federn, weil ich angekleidet geschlafen und das Hemd seit vier Tagen nicht mehr
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