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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Worte zu finden … Natürlich, es war seinem Gesicht eigen, sich aus dem strengen in ein erstaunlich freundliches, sanftes und zärtliches zu verwandeln, und dies, die Hauptsache, völlig treuherzig. Und diese Treuherzigkeit war das Anziehende. Und noch ein weiterer Zug: Ungeachtet seiner Freundlichkeit und Treuherzigkeit war sein Gesicht niemals heiter, selbst wenn er aus vollem Herzen lachte, spürte man doch, daß die echte, lichte, leichte Heiterkeit so gut wie niemals in ihm lebte … Übrigens fällt es mir ungemein schwer, ein Gesicht zu beschreiben. Ich bringe es einfach nicht fertig. Der alte Fürst beeilte sich, uns miteinander bekannt zu machen, nach seiner albernen Gewohnheit.
    »Mein junger Freund, Arkadij Andrejewitsch (schon wieder Andrejewitsch!) Dolgorukij.«
    Der junge Fürst wandte sich sofort mit einem doppelt so höflichen Gesicht zu mir; man sah, daß mein Name ihm völlig unbekannt war.
    »Er ist … ein Verwandter von Andrej Petrowitsch«, murmelte mein schrecklicher Fürst. (Wie schrecklich können manchmal solche alten Herren sein, mitsamt ihren Gewohnheiten!) Der junge Fürst begriff sofort.
    »Ach, ich habe schon vor längerer Zeit von Ihnen gehört«, sagte er rasch, »ich hatte das außerordentliche Vergnügen, vergangenes Jahr in Luga die Bekanntschaft Ihres Fräulein Schwester, Lisaweta Makarownas, zu machen … Sie hat mir oft von Ihnen erzählt …«
    Ich war sogar überrascht: Sein Gesicht strahlte vor aufrichtigem Vergnügen.
    »Erlauben Sie, Fürst«, stammelte ich und versteckte beide Hände hinter meinem Rücken, »ich muß Ihnen aufrichtig gestehen und bin froh, in Gegenwart unseres lieben Fürsten sagen zu können, daß ich sogar den Wunsch hatte, Ihnen zu begegnen, und zwar bis vor kurzem, bis gestern, aber mit völlig anderer Absicht. Ich sage das unumwunden, wie sehr Sie sich auch darüber wundern mögen. Kurz, ich wollte Sie wegen der Beleidigung fordern, die Sie vor anderthalb Jahren in Ems Werssilow zugefügt haben. Und wenn Sie, wie ganz natürlich, auf meine Forderung nicht eingegangen wären, weil ich nur ein Gymnasiast, nicht einmal volljährig und ein grüner Junge bin, hätte ich diese Forderung trotz allem an Sie gerichtet, ganz egal, ob Sie sie angenommen oder was immer Sie getan hätten … Und ich muß gestehen, daß ich sogar jetzt nicht anders darüber denke.«
    Der alte Fürst hat mir später bestätigt, daß es mir gelungen wäre, einen äußerst vornehmen Ton anzuschlagen.
    Das Gesicht des Fürsten drückte aufrichtigen Schmerz aus.
    »Sie haben mich nur nicht aussprechen lassen«, sagte er eindringlich. »Wenn ich mich an Sie mit Worten gewandt habe, die aus meinem tiefsten Herzen kommen, so liegt das an meinem jetzigen echten Gefühl für Andrej Petrowitsch. Ich bedaure, daß es mir unmöglich ist, Ihnen sofort sämtliche Umstände darzulegen; aber ich versichere Ihnen bei meiner Ehre, daß ich schon lange, lange auf meine unglückselige Handlung in Ems mit tiefstem Bedauern zurückblicke. Als ich nach Petersburg aufbrach, stand mein Entschluß fest, Andrej Petrowitsch jedwede Genugtuung anzubieten, das heißt, ihn direkt, buchstäblich, um Verzeihung zu bitten, in jeder beliebigen Form, die er selbst bestimmen mag. Höhere und machtvollere Einflüsse waren die Ursache meines Gesinnungswandels. Der Umstand, daß wir prozessierten, hätte nicht den geringsten Einfluß auf meine Entscheidung gehabt. Seine gestrige Handlung mir gegenüber hat meine Seele sozusagen erschüttert, und noch in dieser Minute, ob Sie mir glauben oder nicht, bin ich noch nicht zu mir gekommen. Und nun muß ich Sie wissen lassen, ich habe nämlich auch den Fürsten aufgesucht, um ihn über einen außergewöhnlichen Umstand zu unterrichten: Vor drei Stunden, genau zum selben Zeitpunkt, als sie mit dem Anwalt dieses Papier aufgesetzt haben, erschien bei mir ein Bevollmächtigter Andrej Petrowitschs und übergab mir seine Forderung … Die formelle Forderung wegen der Geschichte in Ems …«
    »Er hat Sie gefordert?« rief ich aus und spürte, daß meine Augen blitzten und daß mir das Blut ins Gesicht schoß.
    »Ja, er hat mich gefordert; ich habe die Forderung sofort angenommen, aber beschlossen, ihm noch vor dem Rencontre einen Brief zu schreiben, in dem ich meine Ansicht über mein Verhalten und meine tiefe Reue über diesen entsetzlichen Irrtum darlege … Weil es nur ein Irrtum war – ein unseliger, verhängnisvoller Irrtum! Ich muß Ihnen sagen, daß meine Stellung

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