Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gut.«
»Und, weißt du, ohne Absprache, ohne Vertrag – laß uns einfach Freunde sein!«
»Ja, einfach, ganz einfach, aber doch mit einer einzigen Bedingung: Wenn wir jemals einander beschuldigen sollten, wenn wir einander etwas vorwerfen, selbst wenn wir böse, übel handeln sollten, sogar wenn wir dies alles vergäßen – wir wollen niemals diesen Tag und eben diese Stunde vergessen! Darauf wollen wir uns das Wort geben. Wir wollen uns das Wort geben, daß uns dieser Tag immer bleiben soll, an dem wir zwei Hand in Hand gingen und so gelacht und uns so gefreut haben … Ja? Ja, nicht wahr?«
»Ja, Lisa, ja, auch ich schwöre es; aber weißt du, mir ist, als hörte ich dir zum ersten Mal zu … Lisa, hast du viel gelesen?«
»Bis jetzt hast du mich noch nicht danach gefragt! Erst gestern, als ich mich versprach, haben Sie zum ersten Mal die Güte gehabt, mich zu beachten.«
»Aber warum hast du mich nie angesprochen, wenn ich schon so dumm war?«
»Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, daß du gescheiter werden würdest. Ich habe Sie, Arkadij Makarowitsch, von Anfang an durchschaut und im stillen, nachdem ich Sie durchschaut hatte, gedacht: ‘Er wird schon kommen; er wird am Ende bestimmt kommen’ – und habe beschlossen, Ihnen den Vortritt zu lassen. Sie sollten den ersten Schritt tun. ‘Nein’, dachte ich, ‘du wirst mir noch nachlaufen!’«
»Du hast also kokettiert! Also, Lisa, jetzt gesteh: Hast du dich während dieses Monats über mich amüsiert oder nicht?«
»Ach, du bist komisch, furchtbar komisch, Arkadij! Weißt du, vielleicht habe ich dich in diesem Monat gerade deshalb besonders gemocht, weil du so komisch bist. Aber manchmal bist du auch unartig komisch – dies nur, damit du nicht eingebildet wirst. Und weißt du, wer sich noch über dich amüsiert hat? Mama hat sich über dich amüsiert, Mama, mit mir zusammen: ›Ist der aber komisch‹, flüstern wir uns zu, ›wirklich komisch!‹ Und du sitzt da und glaubst, wir säßen da und zitterten vor dir.«
»Lisa, was denkst du von Werssilow?«
»Ich denke sehr viel an ihn. Aber weißt du, wir wollen jetzt nicht über ihn sprechen. Heute wollen wir das nicht; nicht wahr?«
»Ganz richtig! Du bist schrecklich klug, Lisa. Du bist zweifellos klüger als ich. Warte nur, Lisa, wenn ich alles hinter mir habe, dann, dann werde ich dir vielleicht einiges sagen …«
»Warum wirst du so finster?«
»Nein, ich bin nicht finster, Lisa, das ist nur … Weißt du, Lisa, ich sag’s lieber offen: Es ist ein Charakterzug von mir, daß ich es nicht mag, wenn gewisse heikle Stellen meiner Seele mit den Fingern betatscht werden … oder, besser gesagt, wenn gewisse Gefühle zu oft nach außen gekehrt und zum Begaffen freigegeben werden, das ist doch peinlich, nicht wahr? Deshalb ziehe ich es vor, ein finsteres Gesicht zu machen und zu schweigen: Du bist klug, du wirst das verstehen!«
»Nicht nur das. Ich bin ja selbst genauso; ich habe dich in allem verstanden. Weißt du, daß Mama genauso ist?«
»Ach, Lisa! Man sollte nur länger auf der Welt leben! Wie? Was hast du gesagt?«
»Nichts, ich habe nichts gesagt.«
»Du guckst?«
»Aber du guckst ja auch. Ich sehe dich an und liebe dich.« Ich begleitete sie bis fast vors Haus und gab ihr meine Adresse. Beim Abschied küßte ich sie, es war das erste Mal in meinem Leben …
V
Und alles wäre gut gewesen, wenn nicht eins ungut gewesen wäre: Eine schwere Idee pochte in mir, schon seit der vergangenen Nacht, und ließ mir keine Ruhe. Es ging darum, daß ich der Unglücklichen, die ich gestern abend vor unserem Hoftor traf, erzählt hatte, daß auch ich das Elternhaus, das Nest, verlassen und ein eigenes Nest bauen müßte und daß Werssilow mehrere uneheliche Kinder hätte. Diese Worte, vom Sohn über den Vater gesagt, mußten ihre Verdächtigungen gegen Werssilow bestätigen, nämlich, daß er sie beleidigt hätte. Ich hatte Stjebelkow angeklagt, aber vielleicht war ich derjenige gewesen, der Öl ins Feuer gegossen hatte. Dieser Gedanke war schrecklich und ist es auch heute noch … Aber damals, an jenem Vormittag, schien es mir, wiewohl meine Qualen schon begonnen hatten, es könnte nur zu unsinnig sein: “Ach was, hier ist auch ohne mein Zutun ‘viel verbrannt und übergelaufen’”, wiederholte ich von Zeit zu Zeit, “macht nichts, das gibt sich! Ich werde es gutmachen! Ich werde es ausgleichen mit einer guten Tat … Ich habe noch fünfzig Jahre vor mir! …”
Aber die
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