Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
hat?«
    Der Vermieter machte eine Pause und ließ einen gerührten Blick von einem zum anderen wandern.
    »Ich weiß es nicht«, Werssilow lächelte; ich aber machte ein finsteres Gesicht.
    »Er hat es nämlich folgendermaßen angestellt«, der Vermieter sprach so triumphierend, als ginge es um sein eigenes Werk, »er hat sich mehrere Bäuerlein mit Spaten gedungen, so echte, einfache Russen, und hat sie direkt an dem Stein graben lassen, genau am Rand: Die ganze Nacht hindurch haben sie geschaufelt und eine riesige Grube ausgehoben, genau nach Maß, höchstens einen Werschok tiefer, und als die Grube tief genug war, befahl er, nun langsam und behutsam die Erde unmittelbar unter dem Stein wegzuschaffen. Und dann, natürlich, als die Erde weg war, hatte der Stein keinen Halt mehr, worauf sollte er stehen, das Gleichgewicht kam ins Wanken; und sobald das Gleichgewicht ins Wanken kam, haben sie dem Stein von hinten mit den Händen einen Stoß gegeben, mit Schwung, auf russische Art, mit Hurra: Und schon – huch! – war der Stein in der Grube; sofort schaufelten sie die Grube zu, stampften die Erde mit der Handramme fest, pflasterten die Stelle zu – es war glatt, und das Steinchen war weg!«
    »Man stelle sich das vor!« sagte Werssilow.
    »Viel Volk lief zusammen, unzählig viel Volk; die Engländer kamen dazu, ihnen war das Licht zu spät aufgegangen, die guckten böse. Auch der Montferrand kam angefahren, ›Bauernarbeit‹, sagte er. ›Viel zu einfach‹, sagte er. Aber das ist ja gerade der Witz, daß es einfach war, ihr aber seid nicht darauf gekommen, ihr Dummköpfe! Also, was soll ich Ihnen sagen, dieser Natschalnik, diese Staatsperson, schlug nur die Hände zusammen, umarmte und küßte ihn: ›Und woher kommst du, und wer bist du?‹ – ›Aus dem Gouvernement Jaroslawl, Euer Durchlaucht, eigentlich aus dem Handwerkerstand. Schneider sind wir, aber im Sommer kommen wir in die Hauptstadt, um Obst zu verkaufen.‹ Nun, und dann erfuhr es die Obrigkeit; und die Obrigkeit befahl, ihm eine Medaille umzuhängen; also lief er umher mit der Medaille um den Hals, hat sich aber später doch zu Tode gesoffen, wie man hört; wissen Sie, der russische Mensch kann nicht maßhalten! Deshalb lassen uns die Ausländer bis heute nicht hochkommen, jawohl, so ist das!«
    »Ja, natürlich, der russische Kopf …« wollte Werssilow schon beginnen.
    Aber da wurde der Erzähler zu seinem Glück von seiner kranken Frau gerufen, und er eilte zu ihr, ich hätte mich nicht länger beherrschen können.
    Werssilow lachte.
    »Mein Lieber, er hat mich ja schon eine ganze Stunde lang unterhalten, bevor du kamst. Also, dieser Stein … Das ist der Höhepunkt an abgeschmacktem Patriotismus solcher Erzähler, aber wie will man ihn dabei unterbrechen? Du hast doch gesehen, wie er dabei vor Vergnügen dahinschmilzt. Und außerdem liegt dieser Stein, glaube ich, immer noch an seinem Platz und keineswegs in einer Grube, wenn ich mich nicht irre …«
    »Ach, mein Gott!« rief ich. »Das stimmt! Wie konnte er es riskieren! …«
    »Aber ich bitte dich! Du kochst ja geradezu vor Entrüstung! Laß es gut sein. Er hat tatsächlich etwas verwechselt: Ich habe noch in meiner Kindheit eine Erzählung dieser Art von einem Stein gehört. Ich bitte dich! ›Dann erfuhr es die Obrigkeit.‹ Aber seine ganze Seele jubelte in diesem Augenblick, als ›es die Obrigkeit erfuhr‹. In diesem armseligen Milieu geht es nicht ohne solche Anekdoten. Sie kennen eine Unzahl davon, es liegt vor allem an ihrer Maßlosigkeit. Sie haben nichts gelernt, besitzen keine genauen Kenntnisse, aber haben das Bedürfnis, außer über Kartenspiel oder Beförderungen sich noch über anderes zu unterhalten, Allgemeinmenschliches, Poetisches … Was ist er, wer ist er, dieser Pjotr Ippolitowitsch?«
    »Die ärmste Kreatur, ein Unglücklicher sogar!«
    »Nun, da siehst du es, vielleicht spielt er nicht einmal Karten! Ich wiederhole, indem er diesen Quatsch erzählt, erfüllt er das Gebot seiner Nächstenliebe: Er wollte auch uns glücklich machen. Die patriotischen Empfindungen werden dabei auch befriedigt; zum Beispiel kursiert unter ihnen die Anekdote, daß die Engländer Sawjalow eine Million angeboten hätten zu dem einzigen Zweck, daß er seine Erzeugnisse nicht mit seiner Fabrikmarke kennzeichnete …«
    »Ach, mein Gott, ich habe diese Anekdote gehört.«
    »Wer hat sie nicht gehört? Und der Erzähler weiß beim Erzählen sogar, daß du sie bestimmt schon gehört

Weitere Kostenlose Bücher