Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
vom Fürsten ganz besonders. Ich vermutete schon damals, daß er auch in meiner Abwesenheit den Fürsten besuchte und daß sie ganz spezielle Beziehungen unterhielten, aber ich duldete es. Ich war auch nicht eifersüchtig, daß er mit ihm gleichsam ernsthafter sprach als mit mir, sozusagen entschiedener und weniger ironisch; aber ich war damals so glücklich, daß es mir sogar gefiel. Ich erklärte es mir auch damit, daß der Fürst ein wenig beschränkt und deshalb in der Regel auf Genauigkeit angewiesen war, während manch geistreiche Bemerkung ihm überhaupt unverständlich blieb. Auf einmal, in der letzten Zeit, begann er, sich irgendwie zu emanzipieren. Seine Gefühle Werssilow gegenüber schienen sich sogar zu verändern. Dem feinfühligen Werssilow fiel das auf. Ebenfalls sei bemerkt, daß der Fürst sich zur selben Zeit auch mir gegenüber verändert hatte, sogar auffällig; erhalten blieben nur starre Formen unserer ursprünglichen, fast glühenden Freundschaft. Indessen setzte ich meine Besuche bei ihm fort; wie hätte ich meine Besuche unterlassen können, nachdem ich von diesem Sog erfaßt worden war? Oh, wie naiv war ich damals; kann denn die bloße Torheit des Herzens genügen, um einen Menschen zu einem solchen Versagen und einer solchen Erniedrigung zu bringen? Ich nahm sein Geld und dachte, das habe nichts auf sich und gehöre sich so. Übrigens stimmte das nicht: Ich wußte auch damals schon, daß es sich nicht gehöre, aber – ich habe mir einfach keine Gedanken darüber gemacht. Nicht um des Geldes willen suchte ich ihn auf, auch, wenn ich das Geld dringend brauchte. Ich war mir sicher, daß ich nicht um des Geldes willen bei ihm auftauchte, aber ich wußte, daß ich jeden Tag erschien, um Geld zu bekommen. Aber ein Wirbelsturm hatte mich erfaßt, und außer all diesem erfüllte damals etwas ganz anderes meine Seele – und sang darin!
Als ich eintrat, gegen elf Uhr vormittags, war Werssilow gerade dabei, eine lange Tirade abzuschließen; der Fürst hörte zu, indem er im Zimmer auf und ab lief, Werssilow saß. Der Fürst schien einigermaßen erregt. Werssilow gelang es fast immer, ihn in Erregung zu versetzen. Der Fürst war ein außerordentlich empfängliches Wesen, sogar bis zur Naivität, ein Umstand, der mich eigentlich zu einem gewissen Hochmut verführte. Aber, ich wiederhole, in den letzten Tagen war irgend etwas Neues an ihm zu beobachten, gewissermaßen ein boshaftes Zähnefletschen. Als er mich sah, hielt er an, und in seinem Gesicht zuckte etwas. Ich ahnte, womit dieser mißmutige Schatten an diesem Vormittag zu erklären war, hatte aber nicht erwartet, daß sein Gesicht sich so verzerren würde. Mir war bekannt, daß er damals in verschiedenen Schwierigkeiten steckte, aber das schlimmste war, daß ich nur den zehnten Teil davon kannte – das übrige war damals ein undurchdringliches Geheimnis für mich. Deswegen war es abscheulich und töricht, daß ich mich oft mit Trost und Ratschlägen ihm aufdrängte und sogar herablassend seine unglückliche Schwäche belächelte, »wegen solcher Lappalien außer sich zu geraten«. Er schwieg sich aus; aber es war ausgeschlossen, daß er mich in solchen Minuten nicht furchtbar gehaßt hätte: Ich ging von ganz falschen Voraussetzungen aus und ahnte es nicht einmal. Oh, Gott sei mein Zeuge, das Wichtigste ahnte ich nicht einmal!
Er reichte mir jedoch höflich die Hand, Werssilow nickte mir zu, ohne seine Rede zu unterbrechen. Ich machte es mir auf dem Diwan bequem. Was für einen Ton ich mir damals leistete, was für ein Benehmen! Ich habe mir sogar noch Schlimmeres erlaubt, nämlich seine Bekannten so traktiert wie die meinen … Oh, wenn ich jetzt die Möglichkeit hätte, das alles wieder rückgängig zu machen, wie anders würde ich mich dann verhalten!
Noch zwei Worte, um es nicht zu vergessen: Der Fürst wohnte immer noch in derselben Wohnung, aber sie stand ihm jetzt fast ganz zur Verfügung; die Inhaberin dieser Wohnung, die Stolbejewa, hatte hier nur einen Monat verbracht und war inzwischen wieder verreist.
II
Sie sprachen über den Adel . Ich muß bemerken, daß diese Idee den Fürsten, ungeachtet seiner progressiven Attitüde, immer wieder außerordentlich erregte, und ich vermute sogar, daß manches Negative in seinem Leben mit dieser Idee zusammenhing und in ihr seinen Ursprung hatte: Während er den größten Wert auf seine fürstliche Abstammung legte, aber bettelarm war, hatte er sein Leben lang aus falschem Stolz mit
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