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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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das Leben mit Ideen langweilig ist, aber ohne Ideen immer lustig.«
    Der Fürst schluckte die Pille.
    »Und was soll dieses lebendige Leben sein, nach Ihrer Meinung?« (Er ärgerte sich unübersehbar.)
    »Das weiß ich ebensowenig. Ich weiß nur, daß es etwas unheimlich Einfaches sein muß, etwas Alltägliches und Indie-Augen-Springendes, Tag für Tag, Minute um Minute, etwas so sehr Einfaches, daß wir unseren Augen nicht trauen, daß es so einfach ist, und natürlich seit vielen tausend Jahren an ihm vorbeigehen, ohne es zu beachten und zu erkennen.«
    »Ich wollte nur sagen, daß Ihre Idee vom Adel zugleich eine Abwertung des Adels ist«, sagte der Fürst.
    »Wenn Sie unbedingt so wollen, hat es bei uns vielleicht nie einen Adel gegeben.«
    »Das alles ist furchtbar dunkel und unklar. Wenn man schon davon spricht, so muß man meiner Meinung nach von einer Entwicklung …«
    Der Fürst runzelte die Stirn und warf einen raschen Blick auf die Wanduhr. Werssilow erhob sich und nahm seinen Hut.
    »… von einer Entwicklung ausgehen? Nein, es ist besser, nichts zu entwickeln, außerdem ist es meine Schwäche – auf jede Entwicklung zu verzichten. Wirklich, so ist das. Und dann eine weitere Eigenheit: Kaum habe ich angefangen, einen Gedanken, an den ich glaube, zu entwickeln, so endet es immer damit, daß ich am Ende meiner Darlegung selbst von dem Dargelegten nicht mehr überzeugt bin; ich fürchte, daß es mir auch jetzt nicht anders ergehen würde. Auf Wiedersehen, teurer Fürst: Bei Ihnen komme ich auf unverzeihliche Weise ins Schwatzen.«
    Er ging hinaus; der Fürst hatte ihn höflich hinausgeleitet, aber ich war gekränkt.
    »Warum machen Sie denn so ein finsteres Gesicht?« platzte er plötzlich heraus, auf dem Weg zu seinem Schreibpult und ohne mich anzusehen.
    »Ich mache deswegen ein finsteres Gesicht«, begann ich mit zitternder Stimme, »weil ich eine seltsame Veränderung Ihres Tons mir und sogar Werssilow gegenüber … Freilich, Werssilow war anfangs etwas konservativ, meinetwegen, aber dann hat er sich korrigiert und … und vielleicht enthielten seine Worte einen tiefen Gedanken, den Sie einfach nicht verstanden haben …«
    »Ich dulde es einfach nicht, daß man sich herausnimmt, mich zu belehren, und mich für einen jungen Spund hält!« Das klang brüsk und beinahe zornig.
    »Fürst, solche Ausdrücke …«
    »Bitte, keine theatralischen Gesten – tun Sie mir den Gefallen. Ich weiß, daß das, was ich tue, gemein ist, ich weiß, daß ich liederlich bin, ein Spieler, vielleicht ein Dieb … Ja, ein Dieb, weil ich das Geld der Familie verspiele, aber ich dulde unter keinen Umständen irgendwelche Richter. Ich dulde es nicht, und ich lasse es mir nicht gefallen. Ich halte selbst über mich Gericht. Und was sollen die Zweideutigkeiten? Wenn er mir etwas sagen wollte, so hätte er das offen tun und sich nicht in nebulösen Prophezeiungen ergehen sollen. Aber um es mir zu sagen, muß man ein Recht dazu haben, muß man selbst ein Mann von Ehre sein …«
    »Erstens habe ich den Anfang nicht mitbekommen und weiß nicht, wovon Sie gesprochen haben, zweitens gestatten Sie die Frage, warum soll Werssilow kein Ehrenmann sein?«
    »Ich bitte Sie, es reicht. Gestern haben Sie mich um dreihundert Rubel gebeten. Hier sind sie …« Er legte das Geld vor mich auf den Tisch, ließ sich in einen Sessel fallen, warf sich nervös zurück und schlug die Beine übereinander.
    Ich war verwirrt, und es verschlug mir die Sprache.
    »Ich weiß nicht …«, murmelte ich, »ich habe Sie zwar darum gebeten … und obwohl ich heute das Geld dringend nötig habe, ist es mir bei einem solchen Ton …«
    »Lassen Sie den Ton aus dem Spiel. Sollte ich zu scharf gewesen sein, bitte ich, das zu entschuldigen. Ich versichere Ihnen, daß es mir um ganz andere Dinge geht. Hören Sie, es geht um folgendes: Ich habe einen Brief aus Moskau bekommen; mein Bruder Sascha, noch ein Kind, ist, wie Sie wissen, vor vier Tagen gestorben. Mein Vater ist, wie Ihnen ebenfalls bekannt, schon seit zwei Jahren gelähmt, und jetzt geht es ihm, wie man schreibt, immer schlechter, er bringt kein Wort mehr heraus und erkennt niemand. Sie haben sich dort über die Erbschaft gefreut und möchten ihn ins Ausland bringen; aber der Doktor hat mir geschrieben, daß er kaum noch zwei Wochen zu leben hat. Folglich, wir bleiben zu dritt, meine Mutter, meine Schwester und ich, folglich stehe ich jetzt fast allein da … Kurz, ich stehe allein … Diese

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