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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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unmöglich. Das ist aber geboten. Deshalb tu ihnen Gutes, nimm dich zusammen, halt dir die Nase zu und schließe die Augen (das letzte ist unumgänglich). Ertrage das Böse, was sie dir antun, nach Möglichkeit, ohne es ihnen übelzunehmen, eingedenk dessen, daß auch du Mensch bist. Selbstverständlich behandelst du sie mit der gebotenen Strenge, wenn du auch nur um ein weniges klüger bist als das Mittelmaß. Die Menschen sind ihrer Natur nach niedrig und lieben am liebsten aus Furcht; laß dich zu einer solchen Liebe nicht herab, und gib die Verachtung nicht auf. Irgendwo im Koran befiehlt Allah dem Propheten, die ›Ruchlosen‹ nicht anders als Mäuse anzusehen, ihnen Gutes zu tun und achtlos an ihnen vorüberzugehen – ein wenig überheblich, aber richtig. Übe dich in Verachtung selbst dann, wenn sie gut sind, denn meistens sind sie gerade dann auch schlecht. Oh, mein Lieber, ich sage das, weil ich von mir auf andere schließe! Wer nur nicht hoffnungslos dumm ist, der kann nicht leben, ohne sich selbst zu verachten, ob Ehrenmann oder ehrlos – ganz egal. Seinen Nächsten zu lieben, ohne ihn zu verachten – das ist unmöglich. Meiner Meinung nach ist der Mensch mit der physischen Unmöglichkeit erschaffen, seinen Nächsten zu lieben. Hier steckt von Anfang an ein Fehler in der Wortwahl, und ›Liebe zur Menschheit‹ bezieht sich nur auf jene Menschheit, die du dir selbst in deiner Seele erschaffen hast (mit anderen Worten, auf dich selbst und auch auf die Liebe zu dir selbst) und die deshalb niemals Wirklichkeit werden wird.«
    »Niemals Wirklichkeit werden wird?«
    »Mein Freund, ich gebe zu, daß dies ein bißchen töricht wäre, aber das ist nicht meine Schuld; und da ich bei der Erschaffung der Welt nicht um meine Meinung gefragt wurde, behalte ich mir das Recht vor, mir in dieser Hinsicht eine eigene Meinung zu erlauben.«
    »Aber wieso werden Sie daraufhin trotzdem ein Christ genannt?« rief ich. »Ein Mönch in Büßerketten, ein Prediger? Das verstehe ich nicht!«
    »Und wer nennt mich so?«
    Ich erzählte es ihm; er hörte sehr aufmerksam zu, brach aber das Gespräch ab.
    Ich weiß nicht mehr, aus welchem Anlaß dieses für mich denkwürdige Gespräch stattgefunden hat; aber er war dabei sogar gereizt, was bei ihm fast nie vorkam. Er sprach leidenschaftlich und ohne Ironie, als ob er seine Worte gar nicht an mich richtete. Aber ich glaubte ihm wieder nicht: Er konnte doch nicht mit jemand wie mir ernsthaft über solche Dinge reden?

Zweites Kapitel
    I
    An diesem Vormittag, am fünfzehnten November, traf ich ihn nämlich bei dem »Fürsten Serjoscha« an. Ich bin es gewesen, der ihn beim Fürsten eingeführt hatte, aber es gab auch ohne mich genügend Berührungspunkte (ich spreche von den früheren Geschichten im Ausland usw.). Außerdem hatte ihm der Fürst das Wort gegeben, ihm aus der Erbschaft ein Drittel, das heißt, mindestens zwanzigtausend, zu überlassen. Ich weiß noch, wie ich mich wunderte, daß er nur ein Drittel und nicht die Hälfte abzutreten bereit war; aber ich habe den Mund gehalten. Dieses Versprechen hatte der Fürst aus freien Stücken gegeben: Werssilow hatte darüber keine Silbe verloren; der Fürst hatte sich von sich aus vorgewagt, Werssilow hatte es schweigend hingenommen, es später nie erwähnt und ließ mit keiner Miene erkennen, daß er sich überhaupt daran erinnerte. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß der Fürst anfangs von Werssilow entschieden bezaubert war, besonders von seinen Reden, er geriet sogar in Begeisterung und gestand es mir mehr als einmal. Manchmal, unter vier Augen, klagte er nahezu verzweifelt, daß er »so ungebildet ist, daß er sich auf dem falschen Weg befindet! …« Oh, damals waren wir noch Freunde! Ich war ja auch stets bemüht, Werssilow nur das Beste über den Fürsten einzureden, seine Fehler zu entschuldigen, ihn zu verteidigen, auch wenn ich sie selbst kannte; Werssilow aber schwieg sich aus oder lächelte.
    »Auch wenn er Fehler hat, sind seine Vorzüge ebenso zahlreich wie seine Fehler!« rief ich einmal aus, als Werssilow und ich allein waren.
    »Mein Gott, wie du ihm schmeichelst!« lachte er.
    »Wieso schmeichle ich?« Ich verstand nicht.
    »Ebenso viele Vorzüge! Dann müßten ja seine Reliquien heiliggesprochen werden, wenn er ebenso viele Vorzüge wie Fehler hätte!«
    Aber seine Meinung war das natürlich nicht. Überhaupt vermied er es damals, über den Fürsten zu sprechen, wie überhaupt von allem Konkreten, aber

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