Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Allerdings schien er sich augenblicklich zu beruhigen, und auf seine Lippen trat ein selbstbewußtes Lächeln, jenes »dreist-einschmeichelnde« Lächeln, das mir dennoch unaussprechlich widerlich war.
Ich wußte schon lange, daß er den Fürsten furchtbar quälte. Er war schon ein- oder zweimal in meiner Anwesenheit bei ihm erschienen. Ich … ich hatte auch schon mit ihm in diesem letzten Monat zu tun gehabt, aber diesmal mußte ich mich aus einem bestimmten Anlaß über sein Erscheinen ein wenig wundern.
»Sofort«, sagte der Fürst zu ihm, ohne ihn zu begrüßen, drehte uns den Rücken zu und entnahm dem Schreibpult die benötigten Papiere und Rechnungen. Ich für mein Teil fühlte mich entschieden gekränkt durch die letzten Worte des Fürsten; die Anspielung auf Werssilows Unredlichkeit war so unmißverständlich (und so erstaunlich!) gewesen, daß man sie nicht ohne eine radikale Aussprache auf sich beruhen lassen konnte. Aber in Anwesenheit Stjebelkows war das ausgeschlossen. Ich streckte mich wieder auf dem Diwan aus und schlug ein Buch auf, das vor mir lag.
»Belinskij, zweiter Teil! Das ist etwas Neues; Sie streben nach Bildung?« rief ich dem Fürsten zu in einem, wie ich glaube, affektierten Ton.
Er war sehr beschäftigt und in Eile, aber auf meine Worte drehte er sich plötzlich um.
»Ich bitte Sie, lassen Sie dieses Buch liegen«, sagte er scharf.
Das war zuviel, und besonders vor Stjebelkow! Und ausgerechnet jetzt grinste Stjebelkow hinterhältig und ekelhaft und nickte mir mit einem Blick auf den Fürsten verstohlen zu. Ich wandte mich von diesem Dummkopf ab.
»Ärgern Sie sich nicht, Fürst; ich überlasse Sie dieser allerwichtigsten Person und bin ab jetzt unsichtbar …«
Ich hatte beschlossen, den Harmlosen zu spielen.
»Ich soll die allerwichtigste Person sein?« fiel Stjebelkow vergnügt ein, indem er mit dem Finger auf sich selbst zeigte.
»Ja, Sie, Sie sind es: Sie sind die allerwichtigste Person, und das wissen Sie doch selbst.«
»Nein, wenn’s beliebt, erlauben Sie. Überall auf der Welt gibt es den Zweiten Mann. Und dieser Zweite Mann bin ich. Es gibt den Ersten Mann, und es gibt den Zweiten Mann. Den Ersten, der handelt, und den Zweiten, der einsteckt. – Also läuft es darauf hinaus, daß der Zweite Mann der Erste wird und der Erste der Zweite. Stimmt’s oder nicht?«
»Möglicherweise stimmt es, aber, wie üblich, ich verstehe Sie nicht.«
»Erlauben Sie. In Frankreich gab es eine Revolution, und alle wurden hingerichtet. Napoleon trat auf und steckte alles ein. Die Revolution – das war der Erste Mann, und Napoleon – der Zweite. Aber am Ende war Napoleon der Erste Mann und die Revolution der Zweite. Stimmt’s oder nicht?«
Es sei angemerkt, daß ich gerade darin, daß er mit mir auf die Französische Revolution zu sprechen kam, eine seiner früheren Listen erkannte, die ich höchst amüsant fand: Er mußte mich wohl immer noch für einen Revolutionär halten und bei jeder unserer Begegnungen für notwendig finden, eine entsprechende Bemerkung einzuflechten.
»Kommen Sie«, sagte der Fürst, und beide gingen ins Nebenzimmer. Allein geblieben, beschloß ich endgültig, ihm seine dreihundert Rubel zurückzugeben, sobald Stjebelkow sich verabschiedet hätte. Ich brauchte dieses Geld dringend, aber mein Entschluß stand fest.
Gute zehn Minuten lang war nichts zu hören. Aber auf einmal wurde es laut. Sie sprachen beide laut, aber der Fürst brüllte sogar plötzlich, wie in einer starken, an Raserei grenzenden Erregung. Er war sehr jähzornig und brauste manchmal so heftig auf, daß sogar ich mit ihm manchmal Nachsicht übte. Aber genau in diesem Moment trat ein Lakai ein, um einen Besuch zu melden; ich wies ihn in ihr Zimmer, und augenblicklich wurde es still. Der Fürst trat rasch heraus, mit besorgtem Gesicht, aber lächelnd. Der Lakai eilte davon, und eine halbe Minute später erschien der Besucher.
Das war ein sehr wichtiger Besucher, mit Achselschnüren und dem Monogramm des Zaren, ein Herr von höchstens dreißig Jahren, von weltmännischem und irgendwie strengem Äußeren. Ich muß den Leser davon unterrichten, daß Fürst Sergej Petrowitsch von der höchsten Petersburger Gesellschaft immer noch nicht endgültig akzeptiert war, ungeachtet seines leidenschaftlichen Wunsches (diesen Wunsch kannte ich), und deshalb diesen Besuch furchtbar wichtig nehmen mußte. Diese Bekanntschaft war, wie ich wußte, eben erst zustande gekommen, nach vielen Bemühungen
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