Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
des Fürsten; der Besucher machte jetzt seine Gegenvisite, traf aber unglücklicherweise den Hausherrn in einem ungelegenen Moment an. Ich sah, mit welcher Pein und mit welch hilflosem Blick der Fürst sich für den Bruchteil einer Sekunde Stjebelkow zuwandte; aber Stjebelkow hielt diesem Blick völlig ungerührt stand und dachte nicht daran, sich unsichtbar zu machen, sondern ließ sich ungezwungen auf dem Diwan nieder und fuhr sich mit der Hand mehrmals durch das Haar, wahrscheinlich zum Zeichen seiner Souveränität. Er setzte sogar eine bedeutende Miene auf, mit einem Wort – er benahm sich einfach unmöglich. Was mich angeht, so verstand ich auch schon damals, mich zu benehmen, und hätte niemand Schande gemacht, aber wie groß war mein Erstaunen, als ich den ebenso mitleidheischenden, hilflosen wie bösen Blick des Fürsten auffing: Er schämte sich also unser beider und stellte mich und Stjebelkow auf ein und dieselbe Stufe. Diese Idee weckte in mir einen unbändigen Zorn; ich machte es mir auf dem Diwan erst recht bequem und blätterte in dem Buch mit einer Miene, als ginge mich alles überhaupt nichts an. Stjebelkow dagegen machte große Augen, beugte sich vor und lauschte ihrer Unterhaltung, wahrscheinlich in der Annahme, das sei besonders höflich und liebenswürdig. Der Gast streifte Stjebelkow ein paarmal mit einem Blick; mich ebenfalls.
Sie unterhielten sich über die neuesten Familienangelegenheiten; dieser Herr war früher mit der Mutter des Fürsten bekannt gewesen, die einer angesehenen Familie entstammte. Soweit ich es beurteilen konnte, war der Gast, ungeachtet seiner Liebenswürdigkeit und scheinbaren Offenherzigkeit, außerordentlich steif und zweifellos so sehr eingebildet, daß er seinen Besuch sogar für jedermann, wer es auch sei, für eine hohe Ehre halten mußte. Wäre er mit dem Fürsten unter vier Augen gewesen, das heißt ohne uns, so hätte er, davon bin ich überzeugt, würdiger und gewandter auftreten können; jetzt aber verrieten ihn ein gewisses Zittern in seinem vielleicht allzu liebenswürdigen Lächeln und eine merkwürdige Geistesabwesenheit.
Noch keine fünf Minuten hatten sie so dagesessen, als plötzlich noch ein Gast gemeldet wurde, ausgerechnet ebenfalls ein kompromittierender. Dieser war mir gut bekannt, ich hatte viel über ihn gehört, während er mich überhaupt nicht kannte. Es war ein noch sehr junger Mann, übrigens doch schon an die dreiundzwanzig, bestens gekleidet, aus gutem Haus und bildschön, aber – aber er gehörte zweifellos zur schlechten Gesellschaft. Noch vor einem Jahr hatte er in einem der angesehensten Gardekavallerieregimenter gedient, war aber genötigt worden, den Abschied einzureichen, und alle wußten, warum: Seine Verwandten hatten sogar in den Zeitungen bekanntgegeben, daß sie eine Verantwortung für seine Schulden ablehnten, aber er führte sein verschwenderisches Leben weiter, nahm Geld auf zu zehn Prozent monatlich, spielte mit hohem Risiko in verschiedenen Spielhäusern und verjubelte ein ganzes Vermögen mit einer stadtbekannten Französin. Nun verhielt es sich so, daß es ihm vor einer Woche gelungen war, an einem Abend an die zwölftausend zu gewinnen, und er triumphierte. Mit dem Fürsten stand er auf freundschaftlichem Fuß: Sie hatten häufig zusammen gespielt und miteinander gesetzt; aber der Fürst zuckte bei seinem Anblick sogar zusammen, ich konnte es von meinem Platz aus beobachten: Dieser Junge fühlte sich überall wie zu Hause, redete laut und vergnügt, ohne jede Hemmung, alles, was ihm gerade in den Sinn kam, und wäre jetzt niemals auf den Gedanken gekommen, daß unser Gastgeber vor seinem bedeutenden Besucher wegen seines Umgangs so hätte zittern können.
Bei seinem Eintreten unterbrach er ihre Unterhaltung und erzählte, noch ehe er Platz genommen hatte, sogleich von dem gestrigen Spiel.
»Sie waren doch, glaube ich, auch dabei?« wandte er sich nach seinem dritten Satz an den bedeutenden Besucher, den er mit jemand seinesgleichen verwechselte, korrigierte sich aber sofort und rief:
»Ach, pardon, ich habe Sie mit jemand von gestern verwechselt!«
»Alexej Wladimirowitsch Darsan, Ippolit Alexandrowitsch Naschtschokin«, beeilte sich der Fürst, die beiden einander vorzustellen; bei dem Jungen konnte man es sich leisten: Der Name war gut und bekannt, uns aber hatte er vorhin nicht vorgestellt, und wir saßen weiter in unseren Diwanecken. Ich war keineswegs bereit, meinen Kopf in ihre Richtung zu wenden;
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